Das business monster
Elena Schmitt stand an der Glasfront ihres Büros und blickte auf die Metropole herab die sich vor ihr wie ein Teppich auszubreiten schien und am Horizont im Dunst verschwand. Vom 27 Stock aus sahen die Menschen die sich auf den Straßen tummelten wie Insekten aus.
„Wie Ameisen.“ Dachte sie laut.
„Wie bitte?“ kam die Frage des abwesend wirkenden Sekretärs.
„Ich meine die Menschen hier wirken wie Ameisen. Alle sind beschäftigt und wuseln am Boden herum. Aber niemand von ihnen weiß was richtiges Leben ist. Das ist uns vorbehalten.“
„Das hört sich fast an als ob sie ein schlechtes Gewissen hätten.“
„Aber nein!“ Sie drehte sich empört um. „Für mich sind diese Leute wie Nutztiere. Ich wäre blöd wenn ich sie nicht ausnutzen würde. Unsere Gewinne sollen schließlich nicht zurück gehen., Heute muss man sehen wo man bleibt. Und sehen sie sich diese Leute da unten an: Das würde gar nicht auffallen wenn ein paar von denen drauf gehen. Wen interessiert das schon. Mich jedenfalls nicht. Mich interessieren nur unsere Zahlen.“
Mike sah seine Chefin lächelnd an, doch im Innern war er angewidert von ihrer Weltanschauung.
„Wir haben Macht und sollten diese nutzen. Das ist ein erhebendes Gefühl. Sie sollten sich glücklich schätzen – auch sie gehören zu den privilegierten.“
Er nickte und hasste sich dafür. Er wollte nicht zu Leuten gehören die so dachten. Er würde etwas ändern müssen. Möglichst bald!
„Wie sind unsere Termine?“
Schnell schaute er auf die elektronische Liste: „Öhm. Heute haben sie noch einen Termin in einem Textilwerk und dann am Abend noch eine Telco mit Deutschland.“
„Das ist alles? Gut. Morgen geht es nach Hause. Endlich zurück in die Zivilisation. Ich kann den ganzen Dreck und das Gewusel hier in Mumbay nicht mehr sehen!“
In der Nähstube
Anokha sah verschwörerisch zum Eingangsbereich. Ihre Nehmaschine tat den Dienst fast von selbst als das Monster hereinkam. Die blonde Managerin aus Deutschland hielt sich für etwas besseres und bemühte sich gar nicht dies zu verstecken.
Stets blickte sie mit Verachtung auf die Mitarbeiter herab. Als wäre ihre Arbeit nichts Wert. Dabei wussten alle das ohne die Leistung der indischen Näherinnen das Geschäft nicht funktionieren würde.
Die 19 Jährige Anhoka blickte wieder auf ihre Arbeit und versuchte den Besuch zu ignorieren. Obwohl das bösartige Geschrei der Managerin, die gerade mehrere Näherinnen wegen zu langsamer Arbeit abmahnte, kaum zu überhören war!
Wie konnte jemand nur so arrogant und böse sein?
Wie konnte ein Mensch andere Menschen nur so verachten?
Seit eh und je gab es in Indien mehrere Klassen und es war schwer zu ertragen als etwas niederes zu gelten. Aber noch schwerer war zu beobachten wie Menschen aus anderen Ländern kamen und sich wie launische Götter benehmen!
Sie versuchte sich abzulenken.
Mittlerweile hatte sie sich genug Geld angespart um sich komplett neue Kleidung zu kaufen. Damit würde sie wenigstens nicht mehr so arm aussehen wie sie war. Sie träumte davon einen reichen Mann auf sich aufmerksam machen zu können und dann endlich aus diesem Elend befreit zu werden.
Und dann... irgendwie.... würde sie sich an dem blonden Monster rächen!
Die Models
Aina, Chandra und Dhara wurden von allen Seiten Photographiert. Morgen war der große Mode-Event und die drei würden dabei sein. Endlich hatten sie es geschafft! Sie würden auftreten.
Die drei aus edlem Hause hatten schon seit ihrer Kindheit davon geträumt einmal groß rauszukommen. Sie würden in Zeitschriften abgebildet. Im Internet erscheinen und vielleicht würden einige Ausschnitte des Events sogar im Fernsehen übertragen. Kaum Vorstellbar wie viele Leute sie sehen würden.
„Seht nur, ich sehe toll aus in diesem Kleid oder?“ Fragte Chandra und drehte sich vor dem Spiegel.
„Einfach bezaubernd.“ Meinte der Schneider. „Alle werden zu ihnen aufblicken. Wer würde das nicht bei solchen Schönheiten!“
Dharas Herz raste. „Ich bin so nervös. Hoffentlich blamiere ich mich nicht.“
„Wie könntest du?“ Fragte Aina „Alle wissen dass du aus angesehener Familie stammst. Alle werden jubeln und sich wünschen dass sie wie du wären.“ Erklärte sie, während zwei Bedienstete ihre Füße pflegten.
„Genau.“ Pflichtete Chandra bei und alle lachten.
Auf dem Marktplatz - Ein Tag später:
Bhajan und Aishwarya waren mit ihren 12 und 14 Jahren noch Kinder, aber sie mussten ihrem Vater am Marktstand täglich helfen, um genug Geld zum überleben zu haben.
Eigentlich konnten sie froh sein dass sie nicht noch härtere Arbeit zu erledigen hatten. Ihr Vater – Jadoo - gab sich redlich mühe die beiden zu schonen und gut für sie zu sorgen. Doch seit dem Tod seiner Frau, die aufgrund fehlender Medikamente an einer einfachen Infektion gestorben war, war das Leben alles andere als leicht.
Heute war besonders viel los am Markt, so dass sich die Menschen gegenseitig voran schoben.
Eine junge, merkwürdige Frau in alter Kleidung sprach Aishwarya an: „Hallo kleine. Ich interessiere mich für Kleider. Würde mir gerne ein neues kaufen. Ein sehr gutes.“ Sie deutete auf eine Kleidersammlung in der jedes Exemplar aus echter Seide gefertigt war.
„Die sind ganz schön teuer. Haben sie genug Geld dafür?“
Anokha lächelte: „Ja ich habe lange gespart um mir so etwas kaufen zu können. Sieh nur ich habe mir eben auch neue Sandalen gekauft.“ Sie zeigte dem, Mädchen die neuen Schuhe die sie in einer Hand hielt ganz stolz und reichte sie ihr.
Aishwarya griff danach und schaute sich die Schuhe „Oh die sind toll.“
„Ja.“ Sie lächelte verlegen. „Ich traue mich gar nicht sie anzuziehen.“
Das 12-jährige Mädchen drückte die Schuhe gegen ihre Nase. „Riechen nach ganz neuem Leder. Wirklich tolle Sandalen! Sie haben einen guten Kauf gemacht. Aber...“
Das Mädchen ging um Anokha herum und betrachtete ihre nackten Füße „...Ich denke ihre Füße sehen ohne Schuhe noch besser aus. Sie pflegen ihre Füße sehr gut oder?“
Anokha blickte an sich herab. „Eigentlich mache ich nicht sehr viel. Aber manchmal helfe ich meiner Großmutter dabei Olivenöl zu machen. Ich zerdrücke die Oliven unter meinen Fußsohlen. Dadurch bekommt das Öl ein besonderes Aroma und ich denke es ist auch gut für meine Haut.“
Das kleine Mädchen grinnste: „ Wenn ich eine Olive wäre, würde ich auch gerne unter ihren Füßen zerquetscht werden. Fühlt sich bestimmt ganz toll an.“
Anokha lächelte: „Ich zerquetsche Oliven wirklich gerne... Wäre mir eine Ehre eine Olive wie dich zu zermanschen. Würde mir für dich viel Zeit nehmen, damit du das Gefühl auskosten kannst.“
Das kleine Mädchen beugte sich runter und betrachtete die Füße ihrer Kundin von der Seite. „Ihre Füße sind auch ungewöhnlich groß für eine Frau. Aber sie sehen dennoch wirklich wunderschön aus.“
Anokha wurde leicht rot. „Danke. Ich habe Größe 44. Meine Großmutter sagt immer meine Füße seien dazu geschaffen alles darunter zu zerquetschen. Andere meinen sie wären zu groß, aber ich mag sie so wie sie sind.“
Aishwarya blickte zu Anokha auf und sah ihr ins Gesicht. „Sie haben grüne Augen. Dann würde ich ihnen dieses Kleid empfehlen.“ Sie deutete auf ein hellgrünes Kleid das mit goldenem Muster leicht verziert war. Es wirkte sehr edel.
Anokha nahm das Kleid vom Hänger und hielt es an ihren Körper.
„Wie eine Prinzessin.“ Sagte die kleine Verkäuferin strahlend. „Sie sehen ganz bezaubernd darin aus. Ich denke es passt auch gut zu ihren Leder-Sandalen.“
Anokha merkte das die junge Verkäuferin schon sehr gut darin war Menschen zu beobachten und zu beraten. Dabei war sie noch ein Kind. Wirklich erstaunlich. Sie fragte sich wie wohl die Zukunft der kleinen aussehen würde.
Nur wenige Augenblicke später hatte sich die für Aishwarya unbekannte Kundin freudestrahlend verabschiedet. Mit dem eingepackten Kleid hatte sie den Marktplatz verlassen und Aishwarya hatte ihr die ganze Zeit über nachgeschaut.
Irgendetwas machte sie stutzig.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Nachdenklich schaute sie ihren Bruder an, der gerade einen anderen Kunden bediente und sagte beiläufig:
„Die letzte Kundin war etwas ganz besonderes. Das weiß ich. Sie hatte so eine besondere Ausstrahlung. Wie eine Königin – obwohl sie arm ist wie wir.“
„Meinst du?“
„Irgendwie hat diese Frau mit meinem Schicksal zu tun. Ich werde sie bestimmt bald wieder sehen... Diese Frau ist etwas ganz großes. Da bin ich sicher.“
Aber ihr Bruder war zu beschäftigt um ihr zuzuhören. Stattdessen gab er einfach nur ein kurzes „vielleicht“ von sich. Dann kümmerte er sich um den nächsten Kunden.