Kurzgeschichte: "Das Ende"

  • Hallo,

    hier eine kurze Story von mir, vielleicht gefällt es ja jemandem.

    Gruß, Ruffy

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    Es dauerte einige Momente, bis Opa endlich die Haustür öffnete. Wie jedes Mal begrüßte er mich mit schwerfälligem Atmen.

    "Komm rein, mein Junge. Komm rein."

    Er führte mich durch den altmodischen Flur und verwies mich auf das Sofa, das neben seinem abgewetzten Ohrensessel stand. Ich setzte mich.

    "Ich weiß schon, warum du hier bist. Wir haben nicht mehr viel Zeit, richtig? Magst du etwas trinken?"

    Er wirkte außerordentlich entspannt, was ich im Angesicht dieser Situation als wirklich beeindruckend empfand.

    "Nicht jetzt, danke. Und in der Tat, im Grunde wollte ich mich nur noch schnell von dir verabschieden."

    Opa setzte sich gemächlich und stöhnte kurz auf.

    "Das freut mich. Du bist wirklich ein guter Enkel", witzelte er. "Aber sag mir, weiß man schon, wann es losgeht?"

    "Keine Ahnung, vermutlich in 20 Minuten. Würde ich jedenfalls schätzen. Merkst du es nicht auch schon?"

    "Nein."

    Ich warf einen Blick auf die Tageszeitung auf dem Couchtisch. Die Schlagzeile überraschte mich nicht mehr, schließlich hatte ich - genauso wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten - mein Leben lang mit der täglichen Angst leben müssen.

    RRRRRRRR~~

    Das Beben war schon in bedrohlicher Nähe. Und hier saß ich nun, bereit, es endlich hinter mich zu bringen. Es war sowieso immer nur eine Frage der Zeit gewesen. Opa bemerkte meinen besorgten Blick.

    "Hör zu, es wird schnell gehen. Hab keine Angst."

    "Das sagst du so leicht."

    "Du hast Recht. Lass mich dir noch eine Geschichte erzählen, bevor wir gehen müssen. Du wirst überrascht sein."

    "Gern. Schieß los."

    Opa setzte seine Lesebrille ab und legte sie auf die Zeitung.

    "Weißt du, ich war von Anfang an dabei. Es muss vor 60 Jahren gewesen sein, als ich es das erste Mal mit eigenen Augen gesehen habe."

    Ich schluckte. "Kaum vorstellbar. Ich glaube nicht, dass ich es so lange ausgehalten hätte, damit klar zu kommen."

    "Man gewöhnt sich daran."

    Opa machte eine kurze Pause.

    "Ich war damals mit deiner Großmutter in den Staaten. Wir haben Urlaub gemacht, und ich war damals noch sehr jung. Vielleicht um die 15 Jahre alt. Es passierte zunächst nichts Ungewöhnliches, doch eines Nachts ging es los. Die Erde erzitterte, um mich herum knickten die Wolkenkratzer um wie Grashalme. Ich wusste nicht, was geschah, und ich verlor deine Großmutter in dem ausbrechenden Chaos."

    Opa blickte mich eindringlich an.

    "Ein Wunder, dass du überlebt hast", sagte ich.

    "Ja. Ich kann es bis heute selbst nicht glauben. Als ich schließlich sah, was passiert war, fasste ich einen Entschluss. Ich musste mich einfach verewigen."

    Mir stockte der Atem. "Was meinst du?"

    "Ich wollte ein Zeichen für die Ewigkeit setzen. Vielleicht siehst du es heute. Vielleicht auch nicht. Belassen wir es dabei."

    Opa wirkte auf mich fast schon verwirrt. "Das ist eine etwas... seltsame Geschichte. Kommt da noch was?"

    "Nein. Und ich denke, unsere Zeit ist gekommen."

    Man konnte nicht einmal mehr sitzen. Die Erde bebte so stark, dass Häuser einstürzten und Autos sowie Menschen meterhoch durch die Luft geschleudert wurden. Opa und ich stürmten ins Freie.

    Dann sah ich sie endlich am Horizont.

    Eine gigantische Frau, etwa 8 Kilometer groß. Nichts konnte sich ihr in den Weg stellen. Seit Jahrzehnten wandelte sie auf der Erde, ungebremst durch jegliche Versuche der Menschheit, sie aufzuhalten.

    Sie trug nichts als ein eng anliegendes Sommerkleid. Ihre langen blonden Haare fielen eine weibliche Schulter herab, ihre über einen Kilometer langen Füße brachten nichts als Zerstörung.

    Ich kannte sie nur aus den Medien, doch in Echt sah sie noch fantastischer aus. Ich schätzte sie äußerlich auf Mitte 30. Wäre sie nicht so abnormal riesig gewesen, hätte ich sie sehr hübsch gefunden. Wie eine Göttin sah sie jetzt auf uns hinab.

    Sie kam näher. Wie lange hatte ich noch Zeit? Eine Minute? Zwei?

    Ihre schiere Größe ließ jeden Menschen erstarren, so auch mich. Als ihr nackter Fuß schließlich über mir schwebte, sah ich etwas Ungewöhnliches. War da etwas auf ihrer Sohle? Hatte jemand etwas in ihr Fleisch gebrannt? In meinen letzten Sekunden wusste ich, was Opa meinte. Und er hatte Recht: ich war überrascht. In gigantischen Lettern las ich:

    "Mutter, wieso?"

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