Mir ging es wie allen. Ihr Gebrüll sorgte dafür das ich mir die Ohren zuhaltend zusammenbrach. Das hätte zumindest so sein sollen...
Allein dies geschah nicht.
Ich ging nicht in die Knie, obwohl meine Beine weich wurden, unkontrolliert tänzelte ich über den Boden unaufhaltsam auf die Dachkante zu… Es fühlte sich bereits an, als ob ich keine Bodenhaftung mehr hätte…
Ich stolperte über die Kante, irgendwie blieben meine besockten Füße gleichzeitig an der Oberseite der Mauer hängen. Ich war doch gar nicht gesprungen? Diese Fußangel sorgte dafür, dass ich in eine seltsame Schieflage geriet, während ich tief schluckte, die Augen schloss und mich darauf vorbereitete zu stürzen… Ob in einen der nahen Bäume oder die Straße, ich würde wohl mein Leben lassen. Immerhin hatte die Riesin mich nicht erwischt. Konnte ich darauf stolz sein? Etwa fünfzehn Sekunden später öffnete ich verwundert die zuvor zugekniffenen Augen. Wie konnte es sein, dass ich noch nicht irgendwo aufgeschlagen war?
Der Anblick war seltsam. Es war die Straße, die ich so gut kannte und doch war der Anblick irgendwie unwirklich. Ich hing mitten in der Luft, etwa drei Meter horizontal von meinem Dach entfernt von irgendetwas gehalten. Ich war nicht gefesselt, konnte mich uneingeschränkt normal bewegen, nur saß ich eben hier inmitten der Luft fest. Und ich war damit nicht allein. Jetzt, wo ich nicht mehr damit rechnen musste jeden Moment ein grausames Ende zu finden, konnte ich mich umsehen. Überall um mich herum erlebten Andere dasselbe Schwebephänomen… Seltsamerweise schien es nur Menschen oder ähnlich „Leichtes“ zu beeinflussen, „Schwere“ Dinge wie Autos standen firm auf dem Boden. Als ich meinen Blick schweifen ließ sah auf den ersten Blick viele Passanten in der Luft hängen, dabei war auffällig, dass viele Leute nur wenige Meter über ihren nun verlassenen Wägen hingen. Zudem schwebten in der Nähe drei Kinderwagen, Zeitungsschränke, ein Sonnenschirm, zwei Radkuriere, samt ihrer Räder, einer von ihnen angelte mit dem linken Arm nach einem Paket, welches ihm „entschwebte“. Das nenne ich mal Arbeitsmoral! In allen möglichen Höhen.
Eine Frau hatte das Glück in Höhe eines speerangelweit geöffneten Fensters zu schweben, welches sie gerade zu erreichen versuchte. Dann blieb mein Blick an einem Mann etwa schräg gegenüber hängen: Er kletterte an einem Baum hinab und das kopfüber! Dem korpulenten Mittfünfziger rann der Schweiß in Bächen hinab und nach nur wenigen Metern musste er aufgeben. Doch das war nicht das Seltsame: Eigenartig war eher, dass er nicht etwa normal hinabfiel oder an seinem Platz schweben blieb. Wie von einem Seil zurückgerissen, sauste er schräg nach oben, wo er in einer Position meiner nicht unähnlich hängen blieb und seine Frustration herausschrie.
Offenbar hatte ich mich ,was Aileen anging, getäuscht, Erdbändigen war definitiv nicht ihre Fähigkeit, sie setzte die Schwerkraft außer Kraft oder lenkte sie um oder…
„Na, gefällt euch das?“, war Aileens joviale Stimme zu hören. „Das nennt man
Telekinese. Ich halte euch alle mit meinen Gedanken fest! Ist das nicht
großartig?" Sie tippte sich gegen ihre Schläfe. "Ihr könnt nicht einmal vor mir weglaufen, wenn ich es nicht spezifisch
erlaube!“ Sie grinste breit. Einer der Leute am Park hatte offenbar etwas
eingeworfen, sie beugte sich speziell herunter zu einem Mann, der in ihrer Nähe etwa auf Brusthöhe schwebte. Nachdem sie ihn zu ihrem Gesicht „hochgezogen“ hatte, blaffte sie ihn
an: „Ach ja? ,Wir Riesinnen lieben es also, wenn die Normies vor uns weglaufen?‘
Woher weißt du denn so genau, was ich genieße, hmm?" Da Aileen, als sie diese Frage stellte, tatsächlich die Arme in die Hüften stemmte, hatte diese Szene etwas unwillkürlich Komisches.
Offenbar antwortete der arme Kerl, der sich Aileens Unmut zugezogen hatte, wieder und nun sah die Riesin wirklich ärgerlich aus. „Ach ja? Schön, weißt du was? Ich werde dich nicht umbringen! Sie schickte den Kerl begleitet mit einer Schubbewegung nach unten, welche mich die Frage stellen ließ, ob sie die Bewegung der Konzentration wegen nötig hatte oder sie bloß Show war, und ließ ihn tatsächlich „frei“. Soll heißen sie löste ihren „geistigen Griff“.
Er war dennoch inmitten der Kreuzung 5th Avenue/44te Straße eingesperrt. In einer soeben geschaffenen quadratischen Arena aus eng an eng hochkant stehenden Autos. Zwei schwere Autos landeten rumpelnd in zwei der Ecken. Aileen ging den halben Schritt zur Ecke des zerwühlten Parks, in dem sie sich erstaunlicherweise immer noch aufhielt, hockte sich hin und blickte in ihre „Arena“. Sie winkte ihrem Gefangenen höhnisch freundlich zu. Wie er sich wohl gerade fühlte? Dann blickte Aileen auf und sich um. Kurzentschlossen zeigte sie mit ihren zwei Zeigefingern auf zwei Leute, eine Frau in ihren Dreißigern und ein Mädchen, die ihren Klamotten nach zu urteilen nicht älter sein konnte als Aileen selbst, wahrscheinlich eher noch ein paar Jahre jünger. Die Riesin zeigte mit ihren Zeigefingern auf die Arena und die Beiden „flogen“ dort hinein. Sie landeten neben den Autos.
„Zuhören!“, orderte Aileen und es gab wohl Niemanden im Stadtteil, der nicht Folge geleistet hätte, „Ihr Zwei habt eine einfache Aufgabe: Setzt euch in euren Wagen und überfahrt ihn.“ Sie deutete auf den Kerl in der Mitte, der sie verstimmt hatte. „Die Siegerin von euch – also jene die ihn zuerst totfährt - darf gehen. Die Verliererin…“ Aileen fischte einen verlassen da schwebenden Hot Dog Stand aus der Luft und zerrieb ihn zwischen drei Fingern. „Sagen wir einfach, ihr wollt nicht verlieren.“ Direkt darauf blaffte sie den Mann inmitten der Kreuzung, schon wieder mit den Händen an den Hüften, erneut an. „Na? Ich werde dich nicht töten. Zufrieden?“ Während die Frau sofort in „ihren“ schwarzen Mercedes GLA stieg, zögerte das Mädchen und Aileen seufzte. „Versuch es wenigstens! Ich kann dich auch sofort zerquetschen und Jemand anders bekommt die Chance unversehrt hier rauszugehen. Willst du das?“ Sie senkte ihren Zeigefinger langsam in Richtung des Mädchens. Das Mädel quiekte und sprang regelrecht in den bereitgestellten goldgelben Kia ProCeed. Aileen grinste. „Das hab‘ ich auch angenommen. Also dann: Anlassen!“ Ihre beiden „Hit Girls“ starteten die Motoren. „Lasst mich die Motoren hören!“ Beide ließen ihre Maschinen aufheulen. „3 - 2 - 1: Start!“ Der Mann lief sofort los, während der GLA sofort nachsetzte, der ProCeed indes machte einen Satz nach vorn und wurde abgewürgt. Der Mann wurde einige Male vom GLA touchiert, schaffte es aber durch seitliche Sprünge größeren Schaden abzuwenden. Der Mann rannte dauerhaft um den schwarzen Mercedes herum, um stets seitlich von dem Wagen mit seinem ungleich größeren Wendekreis zu bleiben.
Plötzlich fühlte er etwas von hinten. Er hatte nicht auf den ProCeed geachtet! Die Kühlerhaube prallte gegen seinen Rücken und schob ihn kurz vor sich her - direkt in die Seite des GLA. Das Mädchen schrie auf als sie den Mann in den anderen Wagen rammte. Sie setzte direkt nach dem bemerkenswert „sanften“ Einschlag gut zwei Meter zurück und sah nach, ob der Mann tot war, während ihre Konkurrentin mit ihrem Airbag kämpfte…
Der Mann stöhnte. Und das Mädchen wurde panisch als die Fahrertür des GLA sich eine Handbreit öffnete. Sie lief zu dem Mann und sprang auf seinen Brustkorb, sie sprang einige Male auf und ab, was schmerzvolle Geräusche produzierte… Manisch drehte sie sich um und sah den Hals des Mannes. Sie hob den linken Fuß weit hoch und trat mit aller Kraft zu, es knirschte hässlich und der Kopf des Mannes fiel schlaff zur Seite. Sie hockte sich hin und fühlte nach dem Puls des Mannes. Es gab keinen. Sie sprang auf und spritze etwas von seinem Blut herum, während sie mit beiden Armen ruderte und erleichtert rief: „Er ist tot! Er ist tot! Er ist tot.“ Die Frau beschwerte sich indes: „Was sollte das? Du hast mich angefahren, du Verrückte!“