Warum die Opferphantasie im realen Leben nichts taugt

  • Kürzlich hat der Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome die Klimaaktivisten, die sich an der Straße festkleben, mit Carl Schmitt verglichen. Eine Woche später bezeichnet er Leute, die die WM in Katar kritisieren, als moralische Imperialisten, die ihre Gegner unterjochen wollen. Es geht mir hier nicht um die WM oder Aktivismus und ich bitte alle, es sich gut zu überlegen was sie sagen, wenn sie zu diesen spezifischen Punkten einen Kommentar verfassen wollen. Es geht mir um die kognitive Dissonanz unter der Blome leidet und dabei dienen mir diese Beispiele lediglich zur Illustration.

    Für diejenigen, die es nicht wissen: Schmitt war der berüchtigste Nazi-Ideologe und blieb bis zu seinem Tod in Spanien bekennender Nationalsozialist. Blome vergleicht Leute, die sich freiwillig in ihrer Freizeit mit Klebstoff fixieren, buchstäblich mit Hitler und bezichtigt keine 14 Tage später alle, die es wagen, seine Ansichten zu kritisieren, als Moralapostel. Ich muss die Wahnhaftigkeit dieses Selbstbildes nicht näher erläutern, die Lächerlichkeit seiner Aussagen spricht für sich selbst. Wenn jeder, der einem nicht gefällt, ein Nazi ist, ist man nicht mehr diskursfähig. Dann kann man nur noch in einer Blase mit Gleichgesinnten existieren und sich von der Außenwelt abschotten. Wir sind die Guten, die tapfer gegen das "System" kämpfen, alle anderen da draußen sind von grundauf böse und wollen uns was tun. Das Problem: Blome ist nicht allein. Ich sehe diese Mentalität mittlerweile überall, von beiden Seiten des politischen Spektrums und auch zunehmend im Privaten und es ist auch offensichtlich, warum: Es ist eine bequeme Weise, die Welt zu sehen. Man entledigt sich jeder Form von Verantwortung, sieht nur noch seine guten Seiten und hat für alle Probleme eine Erklärung parat. Die Anderen sind schuld. Ein paar Beispiele:

    Am einfachsten kann man dieses Denken in den USA beobachten. Sowohl Demokraten als auch Republikaner bezichtigen sich gegenseitg, die Ursache für alle Probleme des Landes zu sein und im Geheimen eine Diktatur anzustreben. Die einzige Form von Auseinandersetzung, zu der man noch fähig ist, ist der Straßenkampf.

    Früher hatte ich einen Bekannten, der ein unglaubliches Lästermaul ist. Dabei war auffällig, dass die Verurteilungen, die er ständig aussprach, ausnahmslos auf ihn selbst zutrafen. Es war reine Projektion. Mittlerweile ist er Berufsarbeitsloser und macht irgendeine Weltverschwörung für sein persönliches Versagen verantwortlich. Den Kontakt habe ich vor Jahren abgebrochen und ich empfehle jedem, der so jemanden kennt, das Gleiche zu tun. Solche Menschen ziehen einen auf ihr Niveau hinab und natürlich wird auch über einen selbst hinterrücks gelästert.

    Ich bin mittlerweile nur noch genervt von diesem Müll und vielleicht trägt es auch dazu bei, dass ich keine Gewissensbisse habe, ganze Städte auszuradieren.

    Aber im Ernst,wie soll man mit sojemandem reden? Wenn man nur noch in Schwarz und Weiß denkt, kann man nicht mehr differenzieren und es kommen nur noch die extremsten Schlüsse infrage. Das macht auch normale Unterhaltungen unmöglich. Um beim Blome-Beispiel zu bleiben: Wenn ich eh schon alle meine Gegner als Hitler verunglimpfe, kann ich meine Rhetorik nicht mehr steigern. Was will er denn sagen, wenn wirklich jemand käme, der diesen Vergleich verdient? Wenn ich Nazi-Vergleiche wie Bonbons herumwerfe, wird der Vergleich beliebig und verliert jede Bedeutung. Deswegen empfehle ich jedem, sich mit so extremen Anschuldigen zurückzuhalten. Man macht sich damit lächerlich und es ist eine schwere Beleidigung gegenüber jedem, der ungerechterweise so bezeichnet wird. Und dann wundert man sich, dass keiner mehr mit einem redet. Aber das hat natürlich nichts mit einem selbst zu tun, man wird "mundtot" gemacht. Natürlich. Was sonst könnte der Grund sein?

    Entweder ist das die Reaktion oder man behauptet, dass man ja nur die "Fakten" wiedergibt, um sich unkritisierbar zu machen. Dabei gilt natürlich die Gleichung Meine Meinung = Fakt, deine Meinung = Fake News. Linke tendieren eher dazu, Rechte bevorzugen die Erklärung, "mundtot" gemacht zu werden. Aber es kommt natürlich beides in den Lagern vor, auch Mischformen sind möglich.

    Interessantes Video dazu:

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    Ein seltener Fall, dass der Antagonist bei seiner Diagnose so recht hat. Die Lösung, die er vorschlägt, ist natürlich inakzeptabel, es ist ja immer noch der Antagonist. Aber dass ein Videospiel aus dem Jahr 2001 die Entwicklung der Gesellschaft so korrekt voraussagt, ist wirklich erstaunlich.

    Puh, das war ein langer Rant, aber das musste raus. Wenn ihr es anders seht, sagt es ruhig. Kritik ist ausdrücklich erwünscht, denn ich will nicht in einer Blase leben. Aber bitte fangt nicht an, zu streiten. Ich bin eh schon auf der Kippe, das hier überhaupt zu posten, weil das Thema so viel Zündstoff hat.

  • gtsfan24 11. November 2022 um 18:35

    Hat das Thema freigeschaltet.

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