Fiona stand mit verschränkten Armen vor den beiden Riesinnen.
„Und... wie machen wir das jetzt?“, fragte sie.
Ava dachte kurz nach. „Beim letzten mal hat er uns einfach mit der Flüssigkeit benetzt. Aber ich kann es dir leider nicht genau sagen. Wir sind genauso ratlos wie ihr.“
„Was ist mit euren Kleidern?“, fragte Fiona. „Wachsen die mit euch?“
Die blonde Gigantin nickte leicht. „Ich... ich denke schon. Schließlich tragen wir sie ja immer noch.“
Fiona schien kurzzeitig in ihren Gedanken zu versinken, doch dann blickte sie Ava entschlossen in die Augen.
„Hm. Nun gut. Alles klar. Dann stellt euch mal nebeneinander. Am besten so, dass ich euch beide gut erreichen kann.“
Ava warf Melina ein aufbauendes Lächeln zu, dann stellte sie sich direkt neben sie. Melina griff nach Avas Hand und drückte sie fest. „Wir schaffen das schon irgendwie“, flüsterte sie.
Fiona machte den Glasbehälter bereit und stellte eine letzte Frage.
„Können wir loslegen?“
Beide Riesinnen nickten und schlossen die Augen.
Ich sah dabei zu, wie Fiona die bläuliche Flüssigkeit auf den Füßen und Beinen der Riesinnen verteilte, und nach einem kurzen Moment der Anspannung war die Flasche auch schon leer. Die junge Forscherin drehte sich zu mir um. „Komm, lass uns loslaufen. Wer weiß, wie viel Zeit wir haben.“
Wir wollten kein Risiko eingehen, also vereinbarten wir mit den Riesinnen, dass wir uns später an der letzten verbliebenen Farm im Norden des Dorfes einfinden würden. Sie versprachen, unser Schiff und unsere Crew mitzubringen, damit wir uns gemeinsam auf den Weg zur Heimatinsel der Gigantinnen machen konnten. Von dort aus, so plante ich es, wollte ich wieder nach Hause segeln. Endlich. Ich hatte genug von dieser verrückten Reise!
Wir liefen so schnell wir konnten. Wir waren inzwischen sogar ganz gut darin! Immer wieder drehte ich mich zum Strand um, aber nichts schien zu passieren. Ava und Melina standen immer noch dort, und es wirkte so, als wüssten sie selbst nicht, was sie tun sollten.
Kurz bevor ich mit Fiona einmal mehr den Rand des nun zerstörten Dorfes erreichte, drehte ich mich nochmal um. Da sah ich es. „Was zum...?“
Ich blieb wie angewurzelt stehen und stoppte Fiona. „Hey...! D-Das... musst du dir ansehen!“
Auch sie drehte sich nun um und erschrak fürchterlich. „Un-- Unmöglich...!“
Aus der Ferne konnten wir es besonders gut erkennen. Die ohnehin schon gewaltig großen Frauen wurden nun sichtlich noch größer. Atemlos sah ich dabei zu, wie ihre Körper immer weiter in die Höhe schossen. Konnten wir gerade so noch ihre Köpfe über den Baumkronen ausmachen, ragten die Riesen schon wenige Momente später weit über sie hinaus. Die gewaltigen Körper streckten sich, expandierten und wuchsen mit einer monströsen Geschwindigkeit gen Himmel. Erst konnten wir von unserem sicheren Versteck nur ihre Oberkörper sehen, dann ihre Oberschenkel, dann ihre Schienbeine. Ich konnte es nicht glauben. Träumte ich? Sie waren so massig, gewaltig, angsteinflößend.
Es schien nicht aufzuhören. Die beiden jungen Frauen sahen sich fragend in die Augen, als sie sich in unaufhaltsame Titanen verwandelten. Es war unbeschreiblich. Sie waren jetzt so gigantisch, dass die eigentlich nicht gerade kleinen Bäume nicht mal mehr ihre Knöchel streichelten. Ich konnte ihre Gesichter nicht mehr erkennen, so hoch oben waren sie. Das einzige, das ich sah, waren gewaltige Säulen aus Fleisch, die hunderte von Metern in die Luft reichten.
Fiona stockte der Atem. „Wann... wann hört das auf...?“
Auch ich stellte mir diese Frage.
Gebannt sahen wir weiter zu, wie die Riesinnen auf das Ende ihres Wachstumsschubs zusteuerten und schließlich ruhig stehen blieben. Es schien endlich vorbei zu sein.
Ava und Melina sahen sich um. Vermutlich konnten sie selbst nicht begreifen, was mit ihnen geschehen war. Wie versteinert blieben sie stehen, ihre Münder standen offen. Sie versuchten offenbar nachzuvollziehen, wie groß sie nun waren. Sie sagten kein Wort, und ihre Blicke waren auf den Boden gerichtet.
Wenn ich eine Schätzung hätte abgeben müssen, hätte ich gesagt, dass sie jetzt etwa 500 Meter groß waren. Sie waren keine Riesinnen mehr. Sie waren allmächtige Göttinnen. Nichts und niemand auf diesem Planeten hätte ihnen nun noch etwas antun können. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart nicht mehr wie eine Maus. Nein. Ich fühlte mich wie eine verdammte Ameise. Für die Titaninnen waren normale Menschen nun sicher nicht größer als einen halben Zentimeter. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie unbedeutend und klein ich mich im Vergleich zu ihnen fühlte.
Wir hatten die neuen Herrscher der Welt erschaffen.
Als ich die beiden Riesinnen weiter gebannt beobachtete, fiel mir auf, dass ihre Größe scheinbar nicht das einzige war, das sich verändert hatte.
Mein Blick fiel auf Avas Haare. Sie waren nicht mehr blond, sie glänzten in einem schimmernden Gold. Auch ihr blaues Auge war verheilt, und sie wirkte nicht mehr ausgemergelt und schwächlich. Im Gegenteil – sie sah so aus, als wäre sie nie gesünder gewesen. Vor Kraft und Energie strotzend. Ehrfürchtig sahen Fiona und ich zu ihr auf.
Aber auch Melina hatte sich transformiert. Ihre Verletzungen waren ebenfalls verheilt, und ihre jetzt hell glänzenden Haare flatterten geschmeidig im Wind. Beide wirkten wie der Inbegriff von Gesundheit und Schönheit. Wie Göttinnen eben. Was war das nur für ein Zeug?
Fiona stand atemlos neben mir. Auch sie war von diesem unglaublichen Anblick überwältigt.
„Was... was haben wir getan...?“, flüsterte sie.
Ich wollte ihr gerade antworten, doch plötzlich vernahmen wir die Stimmen der gewaltigen Riesinnen. Ihre Worte waren so extrem laut und deutlich, dass wir sie problemlos verstanden. Und das, obwohl wir ein paar (Menschen-)Kilometer von ihnen entfernt waren.
Es war Ava, die sprach. Doch was sie sagte, jagte mir aus irgendeinem Grund Angst ein.
„Ich kann sie sehen. Machen wir sie fertig.“
Melina antwortete ihr mit einem ohrenbetäubenden Kichern, welches über unsere im Vergleich mikroskopischen Körper wusch und für uns eher wie eine Explosion klang.
„Ja. Sie starrt uns bereits an. Gehen wir.“
Ich blickte aufgeregt zu Fiona. „Bitte sag mir nicht, dass die beiden...“
„...den Verstand verloren haben?“, fügte sie hinzu.
„J-Ja...“, stotterte ich. „Sie nehmen ihre neue Größe einfach so hin. Das ist kein gutes Zeichen, o-oder?“
Fiona bekam nun auch einen ängstlichen Gesichtsausdruck. „Ich... Ich weiß es nicht...!“
Die nun über einen halben Kilometer großen Titaninnen setzten sich wortlos in Bewegung. Ihre Schritte waren so laut und krachend, dass ich mir beinahe die Ohren zuhalten musste. Es waren nun keine kleinen Erdbeben mehr, es waren ausgewachsene Kontinentalplattenverschiebungen. Die Erde verformte sich zu feinen Fußabdrücken, als sich ihre 75 Meter langen Fußsohlen metertief in die Erde pressten.
Bäume waren für sie nichts weiter als unbedeutende Grashalme, und sie walzten hunderte von ihnen achtlos unter ihren nackten Riesenfüßen platt, während sie sich auf den Weg zurück zu Anina machten. Wie diese wohl auf Ava und Melina reagieren würde?
- - -
„Und, wie fühlst du dich?“ fragte Melina, die nicht einmal darauf achtete, dass sie gerade die gesamte Insel in eine lebensfeindliche Kraterlandschaft verwandelte.
Ava grinste herzlich. „Großartig. Spürst du das? Die Erde erzittert unter uns...! Wie groß wir wohl sind? Ich kann die Bäume von hier oben kaum noch erkennen. Die sehen aus wie Unkraut!“
„Ja...! Niemand wäre jetzt noch dumm genug, uns anzugreifen!“, sagte Melina. „Jetzt machen WIR die Regeln!“
Die blonde Riesin blickte ihre Freundin an. „Und gut siehst du aus.“
Melina lächelte. „Du auch!“
Nicht weiter interessiert an der Zerstörung, die sie nur durch ihren Spaziergang anrichteten, gingen die beiden geradewegs auf Anina zu, die die Riesinnen bereits voller Panik erwartete. Nach nur wenigen Minuten standen sie bereits vor ihr. Die vorher so stolze Anina war für sie nur noch magere 20 Zentimeter groß und reichte ihnen gerade so bis zu ihren Schienbeinen.
Beide Göttinnen stemmten die Hände in die Hüfte und blickten auf ihre ehemalige Peinigerin hinab.
Ava grinste überheblich.
„Nicht mehr so lustig, wenn sich das Blatt plötzlich wendet. Oder, Schwesterherz?“