Während ihn der goldene Lichtschein weiter blendete, verspürte er ein eigentümliches Gefühl. Es fühlte sich an, als würde sich sein Körper sanft zusammen ziehen. Es tat überhaupt nicht weh, aber es war doch etwas fremdartig und beunruhigend. Dann hörte die Empfindung urplötzlich auf und er konnte wieder etwas sehen. Sofort fuhr ihm der Schock in alle Glieder als er bemerkte, dass alles um ihn herum auf einmal riesig groß war. Die Möbel ragten über ihm auf wie gewaltige Monumente und mitten im Raum stand sein nun riesiger Schutzengel. Daniel maß nur noch fünf Zentimeter, als er zu der geflügelten Riesin aufblickte, die nicht minder erschrocken aus ihrem riesigen, hübschen Gesicht zurückschaute. Ihr Busen schien zu zwei gewaltigen Bergen angeschwollen zu sein, über die Alexandras freundliches Gesicht gerade noch so drüber lugen konnte. „Au weia“, dröhnte die sanfte Stimme des Engels und Alexandra steckte ihr gewaltiges Schwert zurück in die Scheide. „Das wollte ich nicht, Daniel“, rief sie verzweifelt und ihre Stimme war so laut, dass sie Daniel in den Ohren weh tat. „Ich wollte dir einen anderen Zauber zeigen und hab es vermasselt.“ Sie ging in die Knie, sodass der ganze Boden bebte und ihre riesige, aber auch grazile Hand verdunkelte alles über ihm. Als der Engel nach ihm langte, stieg die Panik in ihm auf und er begriff mit einem mal, dass alles wahr war. Engel waren echt und ein riesiger, tollpatschiger Schutzengel stand mitten in seinem Wohnzimmer. Daniel nahm seine winzigen Beine in die Hand und huschte unter eine Kommode in der Ecke des Zimmers. Dort angekommen versuchte er sich etwas zu beruhigen und schaute von seinem staubigen Versteck aus dabei zu, wie sich Alexandra auf den Bauch legte und ihre schlanke Hand unter der Kommode weiter nach ihm tastete. Er wich ängstlich bis an die Zimmerwand zurück und er hörte Alexandras lautes Flehen und sie klang so, als habe sie Tränen in den Augen. „Daniel, ich bitte dich, komm wieder raus. Ich wollte dich nicht schrumpfen. Ich mach das wieder gut. Aber das kann ich nur, wenn du dich wieder raus traust.“ Daniels Atmung wurde flacher und er beruhigte sich langsam. Schließlich verstummte Alexandra und sie zog ihre riesige Hand wieder zurück als der Boden erneut bebte wusste er, dass der Engel wieder aufgestanden war und den Versuch aufgegeben hatte, ihn vom Boden aufzulesen. Obwohl er immer noch deutlich betrunken war, begann sein Verstand zu arbeiten. Alexandra wirkte alles andere als böse und er spürte, dass sie genauso lieb war, wie sie aussah. Aber sie hatte eine unglaubliche Macht, die sie nicht wirklich unter Kontrolle zu haben schien. Nein, es war besser, wenn er sich weiterhin vor seinem Schutzengel versteckte. Er hörte nun, wie sie leise weinte und sich die Nase schnäuzte aber er konnte jetzt nicht einfach aus seinem Versteck hervorkommen und sie trösten. Mit ihrer Schusseligkeit würde Alexandra noch auf ihn treten und sie war nun so riesig groß, dass er das nicht überleben würde.
Aber dann hörte er noch etwas anderes, als das leise Wimmern seines Engels. Es war ein leises, bedrohliches Zischen, dass er direkt hinter sich vernahm. Er warf langsam einen Blick über die Schulter und was er da sah, ließ ihn vor Entsetzen erstarren. Eine riesige Zitterspinne die sogar größer als er selbst war hatte sich von hinten an hin herangepirscht auf ihren acht scheußlichen Beinen. Sabber triefte aus dem Maul des Untiers und er konnte die acht käferschwarzen Augen genau sehen, in denen sich sein geschockter Umriss spiegelte. Die Spinne klickte bedrohlich mit ihren Greifscheren und war gleich nahe genug, um sich mit einem Satz auf ihn zustürzen. Da machte er kehrt und rannte so schnell er nur konnte unter der Kommode hervor. „Alexandraaaaa, hilfeeeee“, schrie er so laut er nur konnte und er hoffte, dass der Engel ihn hören würde, während er hinter sich weiterhin das Zischen der Spinne hörte, die ihn zweifelsohne verfolgte. Er hörte den entsetzen Aufschrei des Schutzengels, der ihm durch Mark und Bein ging und dann geschah es. Die Spinne sprang ihn von hinten an und warf ihn zu Boden. Die wimmelnden Bewegungen ihrer vielen Beine verursachten in ihm ein tiefes Grauen und während die Spinne Seide aus ihren Spinndrüsen zog, um ihn damit einzuspinnen, schloss er mit seinem Leben ab. Was für eine grauenvolle Art zu sterben. Doch urplötzlich wurde die grässliche Spinne von ihm weggezogen und er sah Alexandras titanischen Umriss über ihm knien, die die Spinne von ihm wegzog. Der Engel bekam die Spinne aber nicht zu fassen und das Untier landete erneut auf dem Boden und rannte in entsetzlicher Geschwindigkeit wieder in seine Richtung. „Daniel, schnell spring zur Seite“, rief Alexandra panisch und er ließ sich das nicht zweimal sagen. Obwohl seine Füße bereits eingesponnen waren, sprang er mit aller Kraft vom schmutzigen Fußboden ab und hechtete nach links zur Seite und das gerade noch rechtzeitig. Im Augenwinkel sah er noch den Umriss der Spinne, die erneut zischte und ihr vorderes Beinpaar angriffslustig hob als es geschah. WAMMM. Der Boden der Wohnung erzitterte und Staub wurde aufgewirbelt, als Alexandras riesiger Schuh die Spinne zermatschte. Es gab ein widerlich matschiges Geräusch und das Blut der Spinne spritzte in alle Richtungen davon. Ein paar Tropfen trafen auch Daniels Gesicht, der sich diese mit zitternder Hand abwischte. Der riesenhafte Schutzengel verdunkelte wieder alles über ihm und ging erneut in die Knie, um ihn endlich vom Boden aufzuheben. Und diesmal ließ er zu, dass Alexandra behutsam ihre riesigen Finger um ihn schließen konnte. Eine kurze Zeit war alles um ihn herum dunkel und als der Engel die Handfläche auf Augenhöhe öffnete, sah er die Tränen in ihren wundervollen grünen Augen glitzern. Ihre riesige Hand zitterte und Daniel drehte sich seitlich weg und erbrach sich einmal herzhaft in die Tiefe. Er zitterte ebenfalls am ganzen Körper, denn er hatte eine entsetzliche Angst vor Spinnen und er spürte, dass er zutiefst traumatisiert war. Er wischte sich den Mund ab und rollte sich zurück in die Mitte von Alexandras Handfläche, die ihn nun vorsichtig von den Spinnweben befreite und eine dicke Träne tropfte von ihrer schönen Wange auf ihn herab und traf ihn mit einem lauten Platscher. Er war nun am ganzen Körper triefnass und er roch den salzigen Geruch ihrer Tränen und als er in Alexandras Antlitz blickte sah er, wie leid ihr alles tat. „Daniel bitte, vergib mir. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen“, schniefte sie. „Ich bin der schlechteste Schutzengel der Welt“, fügte sie jammervoll hinzu und wischte sich mit ihrer freien Hand einmal über die Augen.