Die Liebe eines Engels

  • Daniel hatte sich im Laufe der Jahre wirklich verändert. Früher war er ein ganz liebes Kind gewesen. Seine Mutter hatte ihm vor dem Schlafen gehen immer Geschichten von den Engeln erzählt die über ihn wachen und ihn beschützen würden, egal wohin er auch ginge. Es waren unglaublich schöne Geschichten gewesen und er hatte eine völlig unbeschwerte Kindheit gehabt. In der Grundschule hatte er seinen Mitschülern immer erzählt, dass jeder von ihnen einen Schutzengel habe, der immer für sie da wäre. Stets war er für seinen kindlich naiven Glauben von seinen Mitschülern belächelt worden, doch es hatte ihm nichts ausgemacht. In seiner Phantasie konnten die Engel einfach alles Böse besiegen. Es waren mächtige Krieger mit prächtigen Schwingen und langen Schwertern, die Dämonen und andere Bestien mühelos in die Flucht schlugen und so das Böse von ihm fern hielten. Leider blieb diese Welt nach Eintreten der Pubertät nicht mehr lange intakt. Als Daniel anfing sich für Mädchen zu interessieren, musste er schnell feststellen, dass er nicht sonderlich gut ankam, als kleiner, schüchterner, schwarzhaariger Junge.

    Die Mädchen wollte alle einen reiferen Freund, der größer und stärker war als sie selbst. Und so war Daniel spätestens im Alter von sechzehn Jahren ziemlich alleine gewesen. Alle seine Schulfreunde hatten ihre erste Freundin und gingen mit den Mädchen ins Kino oder Eislaufen oder machten andere romantische Dinge mit ihnen. Zeit für ihn hatten sie dann leider nicht mehr. Daniel fing an, mit einer Gruppe halbstarker jugendlicher an zu rauchen und in den Parks der Stadt Alkohol zu trinken, in der Hoffnung wieder ein wenig Anschluss zu finden. Doch in der neuen Clique war er stets bestenfalls ein Mitläufer gewesen, der von den anderen auch mehr als einmal unverhohlen ausgenutzt worden war. Seinen Glauben an die Engel hatte er da schon längst verworfen. Und nun, da er Mitte zwanzig war und alleine als Single, in einer schmutzigen Einzimmerwohnung lebte und noch zu allem Überfluss arbeitslos war und dem Alkohol jeden Abend zusprach meinte er, dass ihm das Leben nicht mehr viel zu bieten habe. Er hatte es noch eine Zeit lang mit diversen Datingportalen versucht, aber die meisten Frauen hatten seine Nachrichten meist direkt ignoriert oder ihm in einem Zweizeiler klipp und klar gemacht, dass sie kein Interesse an ihm hatten. Am Ende hatte er sich mit seinem Singledasein abgefunden und verfluchte Frauen seit dem. Die Versuche seiner Mutter ihn davon zu überzeugen, dass doch noch alles gut werden würde, ignorierte er stets.

    So saß er auch an jenem Abend alleine vor dem Fernseher und schaute sich eine seiner geschmacklosen Serien an, natürlich zu seiner mittlerweile dritten Flasche Bier. Er saß im Unterhemd auf seinem ausgeleierten Sessel und war schlecht rasiert. Sein Unterhemd hätte mal gewaschen werden müssen, denn es war ein dicker, ekliger Bierfleck darauf. Doch ihn störte es nicht. Er schaute einfach nur in die Flimmerkiste und dachte an nichts. Draußen plätscherte der Regen auf das Dach des Hauses, in dem er lebte. Er war so vom Alkohol benebelt, dass er gar nicht richtig mitbekam, was im Fernsehen geschah, als es plötzlich passierte. Ein lauter Aufschlag an der äußeren Hauswand ließ ihn vor lauter Schreck aus dem Sessel fahren. Seine noch halbvolle Flasche Bier fiel zu Boden zu zerbrach. Ihr Inhalt verbreitete einen schalen Geruch am Boden und bildete eine Pfütze. Daniels Herz schlug zunächst noch recht schnell, doch er beruhigte sich langsam wieder. Vermutlich hatte er sich das ganze nur eingebildet. „Vielleicht sollte ich doch ein bisschen weniger trinken“, sagte er zu sich selbst und begann die Glasscherben vom Boden aufzulesen wobei er sich prompt auch noch am Glas schnitt. Er fluchte leise und das Blut tröpfelte von seiner Hand zu Boden und vermischte sich mit dem Bier. Er ging gerade zur Küchenzeile, die in der Ecke des Wohnraums stand, um seine verletzte Hand in ein Stück Küchenpapier zu hüllen, als es plötzlich an der Türe läutete. Daniel erstarrte zu Eis. Es war halb zwölf in der Nacht und er bekam normalerweise nur Besuch von seiner Mutter und die schlief sicher schon längst. Müssen wohl die Nachbarn sein, die sich über den Lärm beschweren wollen, den ich hier veranstalte, dachte er und ging zurück zum Fernseher, um diesen auszuschalten. Seine verletzte Hand in dem Küchentuch blutete noch immer und das Blut weichte das Küchenpapier mehr und mehr auf, als es erneut läutete. „Ja ja, ich komm ja schon“, rief Daniel noch verärgert und stampfte Richtung Wohnungstür. Als er durch das Guckloch auf den Laubengang draußen spähte weitete sich sein Auge schlagartig und er zog sich von dem Guckloch zurück, um sich die Augen zu reiben. Das war doch nicht möglich, dachte er, wird wirklich Zeit weniger zu trinken. Er hatte eine große Menge langer, weißer und graziler Federn im Schein der Lampe neben der Wohnungstüre draußen gesehen, die gespenstisch in die Nacht geleuchtet hatten.

    Als es das dritte Mal läutete, spähte er noch einmal nach draußen und sein Herz krampfte sich vor Schreck zusammen. Wieder sah er die Federn, die sich ganz klar von der Dunkelheit umher abzeichneten. Er zog sein Auge erneut von dem Guckloch weg und ballte seine Hand wütend zur Faust. Hier wollte ihm wohl jemand einen üblen Streich spielen. Er holte schon mal präventiv zum Schlag aus, als er die Tür öffnete, doch als er den nächtlichen Besucher auf der Türschwelle sah, ließ er die Faust sofort sinken, so überwältigt war er von dem Anblick, der sich ihm bot. Eine junge Frau stand auf der Türschwelle, eine Frau von atemberaubender Schönheit, die allerdings ein wenig mitgenommen wirkte. Die Schönheit hatte langes blondes Haar, dass ein wenig zerzaust war, sie hatte geheimnisvoll leuchtend grüne Augen. Gewandet war sie in ein weißes Kleid und sie war vor allem groß und schlank. Ihr Busen, auf den sein Blick nun fiel war wirklich prächtig und hatte genau die richtige Größe, um nicht überdimensioniert zu wirken. Zwei Merkmale an der Erscheinung der jungen Frau waren allerdings außergewöhnlich und machten ihn stutzig. Zum einen hatte die Dame zwei prächtige weiße Engelsschwingen auf dem Rücken, von denen die linke etwas lädiert wirkte und einige der schönen langen weißen Federn waren abgeknickt. Zum anderen trug die Frau ein langes Schwert an dem Gürtel, der ihr Kleid zusammen hielt. Und sie war von einer starken Aura umgeben, die Daniel mit gewaltiger Unschuld suggerierte.

  • Obwohl immer noch leicht mitgenommen wirkend, lächelte die Frau ihn nun an und ihre Zähne waren perlweiß. Er musste zu ihr aufschauen, denn sie war einen ganzen Kopf größer als er. „Huch, was für eine Begrüßung. Tut mir leid, wenn ich dir einen Schreck eingejagt habe, Daniel. Ich hätte vielleicht nicht zu so später Stunde kommen sollen.“ Obwohl ihn eine schale Wolke von Biergeruch umgab, wich die Schönheit nicht zurück sondern kam einen Schritt auf ihn zu getreten und er ging einen Schritt zurück um sie einzulassen. Die schöne Unbekannte schloss die Tür hinter sich und als sie ihm den Rücken zudrehte, raschelten die Federn ihrer prächtigen Flügel leise. „Das ist doch ein Witz“, murmelte Daniel und als die Frau sich ihm wieder zuwandte, war ihr Lächeln noch breiter geworden. „Nein ist es nicht. Ich bin heute Abend hergekommen, um dein Leben zu verändern, ich konnte deinen Werdegang wirklich nicht mehr länger mitansehen.“ Er umrundete die große Frau von allen Seiten und sie beobachtete ihn aufmerksam. „Die sind unmöglich echt“, rief er und deutete vorwurfsvoll auf die Flügel der jungen Dame. Er zog grob und heftig an den Federn und riss eine von ihnen aus. „Aua, spinnst du, das tut doch weh“, beschwerte sich die schöne Unbekannte und fuhr sich mit ihrer grazilen Hand besorgt durch den Flügel. Er beachtete sie nicht und drehte die große Feder in seinen Händen. Sie war viel größer als die Feder irgend eines Vogels. Daniel war äußerst misstrauisch und war sich noch immer sicher, dass hier ein falsches Spiel mit ihm getrieben wurde. „Hat meine Mutter dich etwa geschickt, um mich von meinem lasterhaften Lebensweg, wie sie es nennt abzubringen?“, zischte er die junge Frau an. Doch die schüttelte sofort resolut den Kopf. „Ich finde es wirklich traurig, wie du dich verändert hast“; sagte die Schönheit und in ihren schönen Augen spiegelte sich tiefstes Bedauern wider. „Du warst so ein liebes Kind und hast immer an uns geglaubt. Aber ich weiß, dass dieser wahre Kern immer noch in dir drin steckt. Ich kenne dich seit deiner Geburt und weiß alles über dich.“

    Er zog die Brauen zusammen und blickte mürrisch zu ihr auf. Er glaubte ihr kein Wort. „Ich glaube nicht, dass du ein Engel bist“, warf er ihr unverhohlen an den Kopf und es befriedigte ihn zutiefst, wie beleidigt sie ihm nun entgegen sah. „Du bist nichts weiter als eine verkleidete Schwindlerin. Und wenn du mir nicht sofort sagst, woher du meinen Namen kennst, rufe ich die Polizei.“ Die Schönheit richtete sich zu voller Größe auf und ihre Augen waren nun ebenfalls zu Schlitzen verengt. „Ich bin dein persönlicher Schutzengel, Alexandra und begleite dein Leben schon seit deiner Geburt. Ich bin vielleicht ein bisschen schusselig, als ich vorhin gegen deine Hauswand gekracht bin, aber ich bin keine Lügnerin.“ Sie seufzte und fuhr sanfter fort, allerdings auch mit deutlicher Verzweiflung in der Stimme. „Ich hätte nie gedacht, dass du derart negativ auf mich reagierst. Sicher, ich hatte mit deiner Verwunderung gerechnet, seinen Schutzengel trifft man schließlich nicht alle Tage, aber mich als Lügnerin zu brandmarken verletzt mich zutiefst. Was soll ich denn tun, damit du mir glaubst?“

    Daniel kannte die Antwort und forderte die junge Frau offen heraus. „Wenn du wirklich ein Engel bist, dann erwarte ich hier und jetzt einen eindeutigen Beweis deiner angeblichen Macht. Wenn du den nicht erbringen kannst, wovon ich ausgehe, werde ich umgehend die Polizei rufen und dich festnehmen lassen.“

    Ein seltsam schelmisches Grinsen spielte um Alexandras Lippen. Er hätte damit gerechnet, dass die junge Frau ablehnen würde er und er sie dann auf diese Weise als Lügnerin enttarnt hätte. Doch dazu kam es nicht. Alexandra griff an ihren Gürtel und zog ihr langes, silbrig glänzendes Schwert aus der Scheide. Sie zielte mit der Spitze direkt auf sein Herz und nun bekam er auf einmal Angst. Die Waffe wirkte scharf und echt. Er wich vor ihr zurück an die Wand und Alexandra kam immer näher. Keine fünf Zentimeter von seinem Herzen entfernt befand sich nun die scharfe Klinge und seine Brust hob und senkte sich rasch und in heller Aufregung. „Du willst einen Beweis meiner Macht? Da hast du ihn“, rief Alexandra noch und blitzschnell schoss ein goldenes Licht aus der Spitze des Schwertes, umhüllte ihn komplett und blendete ihn.

    Fortsetzung folgt.

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