Yasmin und der Kirin, Kapitel 2

  • Kapitel 2


    Yasmin blinzelte ein paar Mal. Betrogen ihre traurigen Augen sie etwa? Fantasierte sie? Aber nein, es war weder Betrug oder Fantasie, sogar kein Trick des Lichtes oder eine Fata Morgana. Die Gewässer des Teiches drehten sich tatsächlich so wild wie ein Strudel, als ob ein riesiger, unsichtbarer Löffel sie kräftig umrührte. Dann spritzte das Wasser plötzlich hoch, als ob jemand ein großer Felsbrocken hinein geworfen hatte. Yasmin kroch etwas zurück, mehr aus Angst als um nicht nass zu werden.

    Was sie dann sah ließ sie erstarren.

    Aus den Strudel sprang eine große Kreatur hervor, wie ein Fisch der aus dem Wasser springt. Sie hatte eine blau-grüne, schuppige Haut, ein langer Schwanz wie ein Ochse, und ein Kopf, der aussah wie eine Mischung aus Drache und Elch. Ein Drache so wie man sie im Fernen Osten darstellt, und Elch weil es eine Art Geweih besaß.

    Es flog etwa zehn Meter hoch in die Luft, schlug ein Purzelbaum, und schwebte anschließend langsam auf Yasmin zu. Ihr Maul formte dabei eine Art Grinsen.

    Yasmin, Augen weit offen, fühlte sich so, als ob sie einen elektrischen Schlag bekommen hatte. Sie konnte sich vor Staunen nicht bewegen, und das Wesen kam dichter auf sie zu, immer noch in der Luft schwebend.

    Dennoch schien es nicht gefährlich oder feindlich zu sein. Die Augen strahlten Fröhlichkeit und es grinste breit. Als es sich dicht vor Yasmin befand, fing es an zu sprechen.

    "Hallo Schönheit," sagte es in Englisch, mit einer Stimme die weder männlich noch weiblich klang. "Warum dieses lange Gesicht? Das Leben ist schön! Lebe es, du hast nur eins!" Es schlug einen weiteren Purzelbaum.

    "Wie... was... bist du?" krächzte Yasmin. Sie war so verblüfft das sie kaum reden konnte.

    "Ich? Ich bin ein Kirin. Ein Glücksgeist. Dieser Teich ist mein Zuhause."

    "Bist du ein Drache?", fragte Yasmin.

    "Drache? Ha, ha, ha!" lachte das Wesen, flog hoch, während es sich drehte wie ein Kreisel, danach zwei Purzelbäume rückwärts schlagend und dabei herzlich lachend. "Nein, ich bin ein Kirin. Kirin sind Kirin. Drachen sind Drachen. Die Chinesen nennen und Qilin. Aber ihr vom Westen, ihr nennt uns Einhörner. Aber wir sind keine Einhörner. Wir sind Kirin! Kiii-riiin...", sang es und machte dabei ein paar komische Figuren in der Luft.

    "Das ist eine Halluzination," dachte Yasmin. "Ich bin so im Stress, das ich mir Sachen einbilde. Wenn man so gestresst ist, fängt man an, Dinge zu sehen die es nicht gibt. Oder ich werde verrückt...".

    Der Kirin kam wieder näher. "Na, warum denn so traurig, Mädchen? Komm' tanze mit mir!" sang er.

    "Nein," sagte Yasmin. "Du bist nicht echt. Ich werde wahnsinnig. Ich bin so gestresst das ich verrückt werde...".

    "Nein, ich bin echt," lachte der Kirin. "So echt wie du es bist. Warum denn so gestresst?"

    Yasmin seufzte. Dann erzählte sie ihre Geschichte. Erst hielt sie sich noch etwas zurück, aber dann brach alles aus sie heraus. Da die junge Frau eh dachte, das dieses Wesen nur in ihrem Kopf existierte, warum sollte sie es dann nicht alles erzählen? Also sagte sie es, warum sie so traurig war, wie scheiße sie sich fühlte, alles.

    Als sie fertig war, schlug der Kirin, der bis dahin aufmerksam zugehört hatte, wieder einen Purzelbaum.

    "Aaah, das Mädel hat man hintergangen! Sie ist traurig, weil ihr Liebhaber sie verarscht hat! Und sie hasst ihren Job! Aber sie ist nicht verrückt. Ich werde sie wieder lachen lassen! Jawohl, werde ich! Denn heute ist dein Glückstag, Yasmin-die-Fisch-verkäuft! Glück!" rief er.

    Er machte ein Gesicht das, wie ein schelmisches Grinsen aussah.

    "Ich gebe dir Macht. Damit du dich rächen kannst! Süße Rache für Yasmin. Ich mache dich so stark wie Supergirl, dann kannst du den Kerl zu Brei verprügeln! Und fliegen! Möchtest du das, Superyasmin?"

    Yasmin dachte kurz nach und sah sich selber schon durch die Luft fliegen und einen verängstigten Michael wie Papier zerreißen Aber nein, das war nix. Sie wollte gesehen werden, da sie sich immer wie ein winziges Zahnrad in einer riesigen Maschine gefühlt hatte. Es wurde Zeit, sich zu profilieren.

    "Aaah, Yasmin will gesehen werden!" lachte der Kirin als sie das Angebot ausgeschlagen und ihn den Grund dafür gesagt hatte. "Dann gebe ich Yasmin die Macht zu wachsen! Sie wird wie Godzilla sein! Riesige Yasmin! Randalierende Yasmin! Jeder wird sie sehen. Yasmin kann dann Wale verkaufen als ob sie winzige Sprotten wären! Ja? Vielleicht?" sang er.

    Die Blondine sah sich selbst in Gedanken ungefähr 50 Meter groß, durch Brisbane stampfend. Und Michael war kaum mehr als eine Legofigur zwischen ihre Finger, ihre Gnade völlig ausgeliefert. Sie spürte ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Ja, das war es! Die Macht, so groß zu werden wie sie wollte!

    "Jaaaa...", rief der Kirin als Yasmin zustimmte. "So soll es sein! Schau'!"

    Er tauchte im Wasser und kam kurz darauf wieder hoch mit einem kleinen Fläschchen im Maul. Der Kirin lies es vor Yasmin auf den Boden fallen.
    "Trink! Trink und sei glücklich! Das gibt dir die Macht, die du haben willst! Du kannst dann so groß werden wie du nur willst, indem du dich darauf konzentrierst! Das Geschenk vom Kirin!"

    Und damit tauchte die Kreatur wieder zurück ins Wasser, nachdem sie noch ein paar komische Figuren in der Luft gemacht hatte. Sie kam nicht wieder hoch und das Wasser wurde kurz darauf still.

    Yasmin nahm das Fläschchen und sah es sich genau an. Die Flüssigkeit war durchsichtig, wie Wasser, und das Fläschchen selbst sah so gewöhnlich aus wie es nur ging. Würde sie es trinken?

    "Nicht hier," dachte sie. Und es war irgendwie alles komisch. Yasmin stand auf und lief schnell zurück zur Bushaltestelle. Sie musste all dies erst mal verarbeiten. In ihrem Hotel.

    Als die 25-Jährige endlich zurück ins Hotel kam, war es schon Abend. Draußen leuchteten wieder alle Neonlichter, begleitet von allerlei Musik um die Leute zu überzeugen das in den vielen Bars und Restaurants das Leben genossen werden konnte. In ihrem Zimmer angekommen sah sich Yasmin das Fläschchen nochmal genau an. Es war ungefähr so lang wie ihr Finger, zwei Zentimeter Durchmesser und mit ein einfacher Korken verriegelt.
    Sie runzelte die Stirn. Also, wenn sie es austrank, konnte sie nach Wunsch wachsen? So groß, oder sogar noch größer, als Godzilla? Yasmin konnte es nicht glauben. Aber konnte man es glauben das ein Wesen, die aussah wie eine blaue Schlange mit Drachenkopf und ein Geweih mit ihr gesprochen hatte, auch noch in Englisch, während es in der Luft schwebte?

    "Ich trinke es morgen," dachte sie. Yasmin war müde und brauchte Schlaf. Das alles war zu viel für ein Tag. Im Gegenteil zu was sie glaubte, schlief sie schnell ein statt die ganze Nacht wach zu liegen vor Aufregung.


    Fortsetzung folgt.

    Einmal editiert, zuletzt von Vaalser4 (10. Januar 2017 um 12:33)

  • Das hat mich überracht, dein Kirin war sehr... jovial. Die Verantwortungslosigkeit, welche viele Kobolde auszeichnet hast du sehr gut eingefangen, Vaalser.
    Übrigens ist der Kirin ein Lügner: Randalierende Yasmin? Nein, nein ,nein, das ist Robin und Robin allein. ;)

    Ich hab' zwei kleine Probleme mit dem Kapitel, obwohl ich Wordbuilding sehr mag:

    1. Erst wird erwähnt wie der Kirin aussieht, seine Ähnlichkeit mit einem asiatischen Drachen und einem Elch - und gleich darauf wird erwöhnt das er eine Art Geweih besitzt?
    Sind die Elchschaufeln nicht deren größtes Markenzeichen? Fühlte sich ein wenig seltsam an.

    2. Ich fand die Assoziation mit Supergirl etwas eigenartig - ich meine der Kirin ist dort inmitten der tiefsten japanischen Pampa, in der das Bemerkenswerteste das dort in der Nähe als letztes geschehen ist, wahrscheinlich eine Schlacht aus dem Zeitalter der streitenden Reiche ist...
    Wäre es nicht angemessener wenn er irgendeinen für große Kraft bekannten Kami (Japans gefühlte 10000 Götter des Shinto[ismus]) erwähnen würde?
    Dank der folgenden Beschreibung ist das ja trotzdem unmissverständlich.


    Eine sprachliche Panne prangere ich auch noch an, obwohl ich bei dir ja bewusst weniger hart ins Gericht gehe: Yasmin sollte das Angebot "ausschlagen" nicht "abschlagen" , letzteres ist auch nicht ganz falsch, aber missverständlich, da nur im Südosten des deutschen Sprachraums wirklich gebräuchlich.


    Darüber hinaus:

    Ich freu' mich schon auf das nächste Kapitel und frage mich ob Yasmin im Verlauf der Story den Witz des Kirin "Walhandel" wahr macht.

  • Ok, das mit dem Geweih ist in der Tat etwa komisch gesagt. Ich werde es verbessern. Genau wie das Ausschlagen und Abschlagen.

    Ich habe den Kirin teils basiert auf den Wikipediaeintrag des "Qilin", wie sie in China heissen, und teils auf die Kirin im Spiel "Heroes of Might and Magic 6". Tja, so komme ich halt auf die Ideen (Yasmin ist übrigens auf eine -ebenfalls Fisch verkaufende und durch ihr Freund betrogene- junge Dame mit gleichem Namen basiert). Vielleicht sollte ich sie ja mal raten, nach Japan zu gehen? :P

  • (Yasmin ist übrigens auf eine -ebenfalls Fisch verkaufende und durch ihr Freund betrogene- junge Dame mit gleichem Namen basiert). Vielleicht sollte ich sie ja mal raten, nach Japan zu gehen?

    Erstens: Hasst sie auch Alles und Jeden?

    Zweitens: Lass' das 'mal hübsch bleiben! (Tokio und Brisbane gehören zu jenen Städten die ich gerne 'mal besuchen will - ich kann also nicht brauchen das deine Bekannte sie kaputt macht. ;) )

    Was den Walhandel angeht - das war nicht ernst gemeint, auch von Yasmins Warte nicht, ich meinte das etwa so:

    [...]Yasmin hielt noch immer den, sich hilflos gegen die Riesin aufbäumenden, Blauwal in ihrer Hand und scherzte: "Nun werte Kunden, wer von Ihnen hat X Tonnen (ich weiß gerade nicht wie schwer Blauwale werden) Blauwal bestellt? Sie vielleicht?" Sie schlug mit dem Wahlleib auf eine prall gefüllte Straße. "Oder sie?" Sie drosch ihn heftig in die Fassade eines Gebäudes. "Oh, Sie doch sicher?" Yasmins "Waffe" krachte in einen Fischmarkt am Hafen, der arg lädierte Wal es aufgegeben sich gegen sie zu wehren, vielleicht war er auch mittlerweile gestorben...

    So etwas kam mir dabei in den Sinn.

  • Na, ich denke nicht. Jedenfalls mag sie ihre Schwester. Die beiden sind richtige Hingucker, das mal im Nebenbei :) . Mit Valentin letztes Jahr habe ich sie gefragt ob ich eine Karte schicken sollte, das "nein" kam sehr schnell von ihr... na ja, sie schrieb gleich danach noch "danke", weil sie wohl nicht zu schroff sein wollte. Soweit meinen Erfolg bei den Frauen....

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