I.
Ich war 19, als ich die ganze Wahrheit über mich erfuhr. Dass ich anders war als die anderen Mädchen, wusste ich schon lange. Nicht nur wegen meiner Grüße, schließlich war ich 2,33 m groß und wog 131 Kilo. Nein, vor allem wegen meiner eigentümlichen Farbe. Bis zu meiner Pubertät war fast mein ganzer Körper mit einem bläulichen Schimmer überzogen. Nur mein Kopf hatte einen angenehm bronzenen Teint. Während meiner Geschlechtsreife zog sich die Farbgebung weitgehend zurück. Aber leider nicht ganz. Meine Zunge, meine Vagina und meine Brustwarzen behielten nicht nur ihre Farbe, sondern wurden sogar noch blauer als vorher, als hätte sich die Farbe dort konzentriert. Nun,gehänselt wurde ich von meinen Mitschülerinnen Gott sei Dank recht selten. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich schon mein ganzes Leben deutlich größer war als alle anderen Mädchen. Und ich kannte bis jetzt nur Mädchen. Sowohl in meinem Kindergarten, als auch in der Grundschule achtete meine Mutter darauf, dass ich in reine Mädchengruppen kam. Später kam ich in ein Mädcheninternat. Meine Mutter, sie hieß Jenny, hatte nie viel Zeit, sich um mich zu kümmern. Sie war alleinerziehend, mein Vater habe sie auf einer Urlaubsreise kennen gelernt. Er war Fischer auf den Bahamas und sei auf seinem Fischerboot umgekommen, noch während Mutter dort Urlaub machte. Leider gab es keine Bilder von ihm, aber Mutter sagte immer, ich würde ihm ähnlich sehen. Meine Mutter hielt mich nie wirklich davon ab, Kontakt zu Jungen zu bekommen. Es war mehr so, dass sie mir keine Gelegenheit dazu gab. Mum war ein rätselhafter Mensch. Sie ging in ihrer Arbeit auf und kam oft spät nach Hause. Ich sah sie nie einem Mann mitbringen. Obwohl ihre exotische Liebe, Jose, nun schon mehr als 19 Jahre tot war. Meist hatte sie einen leicht verträumten Blick, aber manchmal trat etwas raubtierhaftes in ihre Augen, was ich mir nicht erklären konnte. Sie war übrigens auch Blau, aber nur an ihren Händen. Ein Chemieunfall, der schon viele Jahre zurücklag. Vermutlich ist etwas davon auch in meinen Körper gelangt.
Ich traf Max beim Einkaufen. Wir griffen gleichzeitig nach einer Packung Kaffee, die zufällige Berührung war elektrisierend. Wir zogen beide gleichzeitig die Hände zurück und lächelten uns schüchtern zu. Er war vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich, und mit seinen 1,86 m groß gewachsen. Deshalb fixierte er auch zunächst eine Stelle knapp unter meinem Busen, wo er mein Gesicht vermutete, bevor sein Blick langsam und mit immer größerem Staunen nach oben wanderte. Als sein Blick endlich den meinen traf, war die Farbe seines Gesichtes nicht mehr von einem Stoppschild zu unterscheiden. Er war einfach nur süß, wie er hilflos und stotternd dort vor mir stand. Ich verliebte mich in diesem Moment in ihn. „Ha.. aa.. allo,“ stammelte er, „'tschuldigung, ich hab dich nicht... ich meine...“ „Ist schon gut,“ erwiderte ich, auch leicht verlegen. „Du kannst den Kaffee haben. Aber nur, wenn ich meine Handynummer draufschreiben darf.“ Was hatte ich da eben gesagt? Ich kannte den Typ doch gar nicht. „Ich bin Josie, und du?“ „Ich.. ich heiße … äh … Max.“ Nun gut , jetzt kannte ich schon mal seinen Namen. „Wo wohnst du?“, fragte ich. „Ich habe eine Studentenbude nicht weit von hier.“ Er begann langsam, seine Scheu zu verlieren. „Kann ich dich vielleicht zu einem Kaffee einladen?“ setzte er nach und deutete auf die Packung, die immer noch im Regal stand. Ich legte sie in seinen Einkaufskorb. „Warum eigentlich nicht?“ Wir verabredeten uns für 17 Uhr und er gab mir seine Adresse. Ich schrieb wie versprochen meine Handynummer auf seine Packung. Einige Stunden später klingelte ich an seiner Wohnungstür. Meine anfängliche Aufregung hatte sich inzwischen gelegt. Als er aufmachte, setzte sein Blick wieder zu tief an. Alte Gewohnheiten, dachte ich. Diesmal fing er sich schneller. „Tut mir Leid, ich habe mich noch nicht so richtig an deine Größe gewöhnt,“ entschuldigte er sich. Das ging vielen so. Wir unterhielten uns über eine Stunde, er studierte seit fünf Semestern Geologie. Ich erzählte ihm von meinem Internat. „Und du hattest noch nie einen Freund?“ fragte er verdutzt. „Nein, keine Gelegenheit,“ antwortete ich wahrheitsgemäß. Irgendwann kamen wir uns näher. Ich meine, körperlich näher. Abwechselnd rutschte einer von uns ein Stück weiter in die Mitte des Sofas. Es kam, was kommen musste. Erst ganz zaghaft, dann immer schneller näherten sich unsere Gesichter. Ich musste mich etwas nach unten beugen und er sich strecken, aber schließlich fanden unsere Münder zueinander. Das war der Moment, als ich begann, etwas völlig neues und erschreckendes über mich zu lernen.
Unsere Lippen berührten sich, öffneten sich zögernd. Seine Zunge suchte die meine. Und fand sie. Sie wartete auf ihn. Sie wartete schon lange, aber das wusste ich noch nicht. In dem Moment, als unsere Zungen sich fanden, begann sich etwas in mir zu verändern. Mein Mund fing unwillkürlich an, an seinen Lippen zu saugen. Immer stärker. Aber es passierte noch etwas anderes. Max begann, vor meinen Augen kleiner zu werden. Erst langsam, dann immer schneller. Unser Kuss dauerte zehn Sekunden, bis Max verschwand. Nein, er war nicht völlig verschwunden. Ich konnte ihn noch auf meiner Zunge spüren. Ich suchte das Badezimmer und streckte meinem Spiegelbild die Zunge heraus. Tatsächlich, dort zappelte eine 8 cm kleine Version von Max. Ich bemerkte, dass mir das Wasser im Mund zusammen lief. Ohne zu wissen warum, begann ich auf Max zu lutschen wie an einem Bonbon. Es schmeckte köstlich. ER schmeckte köstlich. Viel besser als Bonbons. Ich setzte mich zurück ins Wohnzimmer und genoss den Geschmack. Irgendwann wurde es nass in meinem Mund. Vermutlich war seine Haut abgelutscht und ich hatte seinen Blutkreislauf erreicht. Wie eine Likörpraline, die mit Schokolade überzogen war.
Ein kleiner Teil meines Verstandes rebellierte gegen das, was da gerade passierte. Nicht nur, dass es unmöglich war, es war auch barbarisch. Falsch. Aber warum fühlte es sich dann so richtig an? Warum signalisierte mir mein Körper, dass er jahrelang darauf gewartet hatte? Dass dies meine Bestimmung sei? Ich beschloss, meine Moral zunächst beiseite zu schieben und den Augenblick zu genießen. Der Körper in meinem Mund wurde immer kleiner, löste sich auf. Zehn Minuten später fühlte ich nur noch winzige Knochen in meinem Mund. Ich zerkaute sie genüsslich, schmeckte das Knochenmark und schluckte die Reste herunter. Ich war wie berauscht. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so gut gefühlt. So gesättigt.
Ich suchte die umkämpfte Kaffeepackung, die Max zum Verhängnis wurde. Dort war der einzige Hinweis auf mich, meine Nummer. Meine Tasse spülte ich sorgfältig, dann nahm ich den Kaffee mit nach Hause. Ich musste unbedingt mit meiner Mutter reden.