Insel der Riesinnen (Teil 3)

  • Am nächsten Tag machte ich mich mit Fiona im Schutze der Nacht auf einen Trip um die Insel, nachdem wir uns den ganzen Tag über im Haus der alten Dame versteckt hielten und erneut das grausame „Ritual“ beobachten mussten.

    Unser erklärtes Ziel war es, Avas Landungsboot und hoffentlich noch mehr von der Flüssigkeit zu finden, die die drei Frauen in Riesinnen verwandelt hatte.

    „Ich verstehe immer noch nicht, warum wir Anina nicht einfach trotzdem vergiften“, bemerkte ich. „Was soll schon passieren?“

    Fiona schien genervt. „Wie oft noch? Das geht nicht! Ich bin mir fast sicher, dass Ava nicht allzu erfreut darüber wäre.“

    „Und? Glaubst du wirklich, dass sie uns einfach plattmachen würde, oder was? Sie wäre wahrscheinlich ein paar Wochen traurig und wir könnten endlich hier abhauen. Ich meine... gerechtfertigt wäre es doch schon, oder findest du nicht?“

    „Ich bin mir nicht mehr so sicher“, sagte Fiona. „Da wir nun wissen was passiert ist, wäre das kaltblütiger Mord. Sie waren bis vor Kurzem noch normale Menschen. Vergiss das nicht, Captain.“

    Ich stöhnte laut auf. „Ja, ja, verdammt. Es wird schon einen anderen Weg geben.“

    „Noch dazu glaube ich, dass sie ihr Trinkwasser jetzt genau überprüfen werden. Wir hätten Ava einfach nichts davon erzählen sollen. Jetzt ist unsere Trumpfkarte sowieso weg“, ergänzte Fiona.

    Ich schwieg. Sie hatte recht.

    Wieder schien der Mond durch die Baumkronen. Wir bewegten uns langsam am Rand des Waldes, immer am Strand entlang. Früher oder später mussten wir so auf das Landungsboot der Riesinnen stoßen. Wir hofften, dass sie es nicht bereits zerstört oder an einen anderen Ort gebracht hatten.

    Immerhin behauptete die alte Dame, dass die Insel nicht allzu groß sei und wir sie in etwa 24 Stunden einmal komplett umrunden konnten. So verstrich Stunde um ereignislose Stunde. Wir redeten nicht viel. Zu viel stand auf dem Spiel. Wir waren beide extrem angespannt.

    Nach einer kurzen Verschnaufpause erreichten wir schließlich einen weiteren Strand. Zunächst war auch hier nichts zu sehen, bis Fiona mir in die Rippen stieß und auf die Brandung deutete.

    „Siehst du das auch? Ich glaube...“

    Sie ging ohne ein weiteres Wort los und verließ den Schutz der Baumkronen. Ich eilte ihr hinterher auf den Sand, und wir rannten hinunter zum Wasser.

    „Was... was hast du denn?!“, hechelte ich.

    „Ich habe etwas gesehen!“

    Sie sollte recht behalten.

    Als wir ankamen, lag ein einsames, kleines Holzboot vor Anker. Es war nicht mehr ganz intakt, das Segel war abgebrochen und trieb leblos in den Wellen umher.

    Fiona wirkte freudig überrascht. „Ist es das?“

    „Da gibt es wohl nur einen Weg, das herauszufinden. Sehen wir nach.“

    Vorsichtig stiegen wir auf die klapprigen Holzplanken des Bootes. Auf den ersten Blick war allerdings nichts zu sehen. Ich wollte mich schon enttäuscht umdrehen und die ganze Sache abblasen, doch Fiona deutete auf eine Klappe im Boden des Schiffs.

    „Warte. Was ist das hier?“, fragte sie.

    „Sieh nach.“

    Langsam streckte sie ihren Arm aus und packte den metallenen Griff, der an der Klappe befestigt war. Sie zog leicht daran, und die Klappe öffnete sich knirschend.

    Fionas Augen begannen zu leuchten. „Was ist...das?“

    Sie zog einen schwarzen Lederbeutel aus dem Geheimfach hervor.

    Ich sah sie verwundert an. „Huh? Ein Beutel? Ist das alles?“

    „Nein, da ist sonst nichts drin. Aber der Beutel ist nicht leer.“

    Ich verdrehte die Augen. „Dann öffne ihn!“

    „Ja, ja. Immer mit der Ruhe, Captain.“

    Sie ließ den Griff der Geheimtür los und wir verließen das Boot. Wir setzten uns am Wasser auf den Sand und ich sah gebannt dabei zu, wie sie langsam den tiefschwarzen Beutel öffnete.

    Eine Phiole mit einem Zerstäuber kam zum Vorschein. Eine blau leuchtende Flüssigkeit schien sich darin zu befinden.

    „Das... das kann doch nicht wahr sein! Fiona! Du bist ein Genie!“

    Sie fing an zu lächeln und drehte das Fläschchen in ihrer Hand. „Ich weiß.“

    „Unglaublich! Wir haben es gesch--“

    Eine laute Stimme schallte plötzlich zu uns herüber. Einmal mehr wurde ich von den Worten einer Riesin unterbrochen.

    „Hah! Habe ich es mir doch gedacht!“

    Wir drehten uns panisch Richtung Wald um. Dort stand sie. Anina. Wie war das möglich? Hatte sie sich etwa angeschlichen?

    THUD.

    THUD.

    Sie bewegte sich genau auf uns zu.

    „Ihr seid die anderen vom Schiff, richtig? Also hat Ava doch versucht, jemanden zu schützen!“

    Ich sah herüber zu Fiona. Sie zitterte am ganzen Körper und sah voller Angst zu der Gigantin auf. Aber mir erging es nicht anders.

    „Das war's. Wir sind erledigt!“, flüsterte Fiona. „Das kann doch nicht wahr sein!“

    THUD.

    THUD.

    Anina stand nun nur noch wenige Meter von uns entfernt. Sie stierte wütend auf uns hinab. Wir konnten nicht viel mehr tun, als einfach regungslos dazustehen. Was hätten wir auch sonst tun sollen?

    „Was zur Hölle macht ihr hier?“

    Wir antworteten ihr nicht.

    „WAS MACHT IHR HIER?!“, wiederholte Anina donnernd.

    Ich nahm den letzten Funken Mut in meinem Körper zusammen.

    „W-Wir m-machen n-nur einen kleinen S-Spaziergang...!“

    Die Riesin schien nicht erfreut.

    „Lächerlich! Das reicht jetzt! Ihr kommt mit mir. Und dann unterhalten wir uns wie Erwachsene!“

    Die mit Goldschmuck behangene Titanin ging in die Knie und streckte ihre gigantische Hand in unsere Richtung aus. Geistesgegenwärtig nahm ich Fionas Flinte in die Hand und lud sie, so schnell ich konnte.

    Aninas riesige Hand bewegte sich nun genau auf Fiona zu. Langsam schlossen sich ihre gewaltigen Finger um den winzigen Körper. Fiona begann wie am Spieß zu schreien.

    „C-Captain! H-Hilfe! Hilfe--!! Aaaahh--!! Neeein!!“

    Gerade als Anina die völlig aufgelöste Fiona greifen und hochheben wollte, zielte ich auf das rechte Auge der Riesin. Da sie in die Knie gegangen war, schien ein direkter Treffer ein wenig wahrscheinlicher. Ich drückte ab.

    BANG!

    Ich hatte einen Volltreffer gelandet. Anina ließ sofort von Fiona ab und schrie so laut auf, dass uns beinahe die Trommelfelle platzten.

    „Aaagh--!! IHR VERDAMMTEN MADEN! Agh...!! WAS HABT IHR GETAN?!“

    Die Riesin stand taumelnd auf und presste sich beide Hände gegen ihr Auge. Jetzt musste es schnell gehen. Ich griff Fionas Arm und zerrte sie Richtung Wald. Wir liefen so schnell wir konnten.

    Ich warf ihr einen hastigen Blick zu. „Hast du-- hast du die Phiole?“

    „J-Ja... ich habe sie!“

    „Dann lauf! Lauf um dein Leben!“

    Wir trauten uns nicht, uns noch einmal umzudrehen. Die Riesin stampfte über den Strand und schrie erneut voller Schmerzen auf. Wir konnten es vielleicht schaffen!

    Nach gefühlt ewigen Sekunden kamen wir wieder am Waldrand an und rannten tiefer hinein. Weiter, weiter... Ich kann nicht mehr sagen, wie lange wir gerannt sind. Immer wieder hörten wir Anina wie wild hinter uns brüllen und laut stampfen.

    „WO SEID IHR? ICH MACHE EUCH PLATT! ICH FINDE EUCH--!! IHR WERDET DAFÜR BEZAHLEN!!“

    Wir ließen uns nicht davon beeindrucken und rannten weiter. So lange, bis wir nicht mehr konnten und die Riesin außer Hör- und Sichtweite war. Erschöpft brachen wir unter einem Baum zusammen. Es dauerte bestimmt zwanzig Minuten, bis wir uns von dem anfänglichen Schock erholt hatten.

    Fiona lächelte endlich und sah zu Boden, völlig außer Puste. „Du hast es geschafft, Captain! Du hast es tatsächlich geschafft! Du hast mir das Leben gerettet!“

    Ich wollte ihr gerade stolz auf die Schulter klopfen, doch dann kam mir plötzlich nur noch eins in den Sinn.

    „Fiona...! Die Crew! Sie hat das Schiff! Sie weiß, dass wir zusammengehören! Nein!“

    Die sonst so ruhige Forscherin wurde auf einmal kreidebleich. Mehr, als sie es sowieso schon war.

    „Ah...! Du... du hast recht! Verdammt! W-Was machen wir jetzt?!“

    Ich wusste keine Antwort auf ihre Frage.

  • Bedrückt liefen wir durch den Wald zurück. Unsere Tour hatte sich in ein totales Desaster verwandelt. Unsere Crew war vermutlich erledigt, unser Schiff zerstört und zu allem Überfluss waren drei Riesinnen hinter uns her, die uns nach dem Leben trachteten. Es war endgültig vorbei.

    Fiona wirkte fast depressiv. „Das ist doch alles sinnlos...! Wir können uns nicht ewig vor ihnen verstecken!“

    „Lass uns erstmal zurück zum Haus der alten Dame gehen. Dort können wir besprechen, wie es weitergeht. Eins steht allerdings fest“, sagte ich. „Wir haben alles versaut.“

    Fiona atmete laut aus. „Ja... Ja, das haben wir. Anina wird sicher auch nicht allzu freundlich mit Ava umgehen...“

    Wir schwiegen uns den Rest des Weges an. Der morgen dämmerte, und nach einigen Stunden kamen wir wieder dort an, wo wir vor drei Tagen gelandet waren. Wir suchten den im Wald ausgehobenen Weg und machten uns bereit, die letzte halbe Stunde Richtung Dorf zurückzulegen. Wir hatten keine Sekunde geschlafen. Aus schierer Angst, dass uns die Gigantinnen vielleicht aufspüren würden.

    Völlig ausgelaugt und hungrig gingen wir endlich auf den Rand des Dorfes zu. Nur noch ein paar Meter.

    Doch als wir ankamen, bot sich uns ein Bild des Grauens.

    Alles war zerstört. Das ganze Dorf lag in Trümmern.

    Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Rauchende Ruinen, plattgewalzte Bäume und ein Haufen lebloser Körper. Es sah aus, als wäre eine gewaltige Bombe eingeschlagen. Doch natürlich wussten wir genau, was hier passiert war.

    Ich blickte zu Fiona, und ich merkte, wie mir zum ersten Mal seit unserer Ankunft die Tränen kamen. Ich ließ mich auf meine Knie sinken und sah zu Boden. „Nein... nein...“

    Fiona war nicht weniger geschockt. Tränen schossen nun auch aus ihren Augen.

    „Oh Gott“, flüsterte sie. „D-Das...“

    „...war unsere Schuld“, antwortete ich.

    Die Forscherin sank ebenfalls zu Boden und fing an, heftig zu weinen. Es war zu viel für sie.

    Für mich auch.

    - - -

    Ich weiß nicht, wie lange wir dort lagen. Regungslos, traurig, am Boden zerstört. Wir waren für den Tod dieser Menschen verantwortlich. Wir hatten Anina so sauer gemacht, dass sie in schierer Wut das ganze Dorf zertrampelt hatte. Es war unmenschlich grauenvoll. Wie konnte sie so etwas nur tun? Selbst das Haus der alten Dame war dem Erdboden gleich gemacht worden. Wir hofften, dass es wenigstens schnell ging.

    Nach einiger Zeit schaffte ich es, mich ein wenig zu fangen. „Was... was machen wir jetzt?“

    Fiona war immer noch untröstlich. „Keine Ahnung. Keine Ahnung...“, entgegnete sie mir zitternd.

    „Komm, wir müssen hier weg. Ich weiß, dass es schlimm ist, aber es bringt nichts, hier zu bleiben. Wir müssen später lernen, damit umzugehen.“

    Die weinende Forscherin stand langsam auf, blieb aber stumm.

    Ich drehte mich und ging in den Wald zurück. Richtung Strand. Ich zog Fiona hinter mir her, die unbeholfen und völlig aufgelöst über den Waldboden stolperte.

    Am Waldrand angekommen setzten wir uns erneut hin. Wir hatten uns inzwischen beide ein wenig beruhigt.

    Ich versuchte, positive Gedanken zu vermitteln. Aber es gelang mir einfach nicht. „Wir sind aufgeschmissen. Wir können uns eigentlich auch gleich die Kugel geben.“

    Fiona nickte wortlos.

    „Wem sollen wir jetzt noch helfen? Die Crew ist tot, das Dorf ist zerstört... nur noch wir sind über. Es ist zwecklos. Die finden uns doch sowieso...“

    Ich merkte deutlich, wie mich meine negativen Gedanken zu übermannen schienen. Doch dann sprach Fiona etwas aus, über das ich nicht mehr groß nachgedacht hatte.

    „Wir... wir haben noch die Phiole mit der Flüssigkeit“, sagte sie.

    „Und? Was willst du jetzt noch damit?“

    „Weiß nicht...“

    „Warum erwähnst du sie dann?“

    „Weiß nicht...“

    Sie war einfach zu geschafft und wirkte völlig verwirrt. Aber auch ich fühlte, wie die blanke Erschöpfung über meinen gesamten Körper wusch. Ich legte mich kurz hin und nickte schnell ein. Es ging einfach nicht mehr. Ich war am Ende.

    - - -

    „Hey...! Wacht auf!“

    Wir wurden von einer lauten Stimme geweckt. Ich öffnete langsam die Augen.

    „Bitte erschreckt euch nicht.“

    Genau über uns kniete Ava, und hinter ihr stand Melina. Die beiden sahen traurig auf uns herab.

    Ich konnte nicht anders und fing sofort an, panisch zu schreien. Sie hatten uns gefunden! Wie blöd waren wir? Wir hatten uns einfach mitten auf den Sand gelegt! Natürlich würden sie uns hier finden!

    Auch Fiona bemerkte schnell unsere Situation und stimmte in den Schreikanon ein.

    „Beruhigt euch! Bitte! Wir tun euch nichts“, bekräftigte die blonde Riesin erneut.

    Es dauert eine gewisse Zeit, bis dieser Satz in meinem Gehirn ankam. Ich entspannte mich etwas, blieb jedoch liegen. Ich war zu fertig. Ich sagte kein Wort.

    Dann fiel mir jedoch etwas Ungewöhnliches auf. Ich sah genauer in Avas Gesicht. Sie hatte ein blaues Auge. Auch Melina schien eine Art Verletzung im Gesicht zu haben. Was war geschehen?

    „Hört zu“, sagte Ava. „Wart ihr es, die Anina...“

    Ich musste plötzlich lachen. Ich fühlte mich fast so, als hätte der Wahnsinn von mir Besitz ergriffen.

    „Hahah! Ja, verdammt! Ich habe ihr ins Auge geschossen! Ich hoffe, es tut weh!“

    Die blonde Riesin drehte sich einmal mehr mit ernster Miene zu ihre braunhaarigen Freundin um. Diese schwieg, wie immer.

    Ich wurde indes noch mutiger. „Wir mussten uns ja schließlich verteidigen, oder? Geschieht ihr recht! Und guckt mich nicht so an!“

    Ava schien nun besorgt und sprach wieder zu uns.

    „Dann wart ihr es also wirklich“, sagte sie. „Ich kann es euch nicht verdenken. Sie hat es wirklich verdient...! Sie war stinksauer und hat getobt...! Ich habe sie noch nie so erlebt.“

    Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Verdutzt sah ich in ihr riesiges Gesicht.

    „Was danach geschehen ist, muss ich euch wohl nicht erzählen. Ihr wart im Dorf, oder?“

    Fiona und ich nickten kaum merklich.

    „Sie wollte uns dazu zwingen, mit ihr das Dorf zerstören...! Aber wir haben uns geweigert! Sie hat uns geschlagen, als wir versucht haben, sie zu stoppen...! Es... es tut uns Leid. Wirklich... Wir haben das alles nicht gewollt...! So viele Menschen sind... wegen uns... wir hätten sie aufhalten müssen...“

    Auch ihr schossen wieder die Tränen in die Augen. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Das war einfach zu viel Leid in nur drei gottverdammten Tagen.

    „Und wo ist sie jetzt? Was habt ihr vor?“, fragte ich die Gigantinnen. Es war besser für alle, von diesem Thema abzulenken.

    Ava sah an uns vorbei zu Boden, und traurig sprach sie weiter. „Sie... sie möchte nun doch auf unsere Heimatinsel zurück. Sie hält einen von eurer Crew als Geisel und hat die anderen beiden losgeschickt, um den Weg zu finden. Sie sollten schon bald zurück sein. Euer Schiff ist viel schneller als unser Boot es war...! Sie sagte, dass es hier nichts mehr zu holen gäbe...“

    Dieser letzte Satz weckte mich wieder auf. Ich gab mir eine Ohrfeige und blickte erwartungsvoll in Avas feuchte Augen.

    „Warte...! Das heißt, unsere Crew ist noch am Leben?“

    Mit neu entdeckter Freude in den Augen sah ich Fiona an, die meinen Blick erwiderte und sanft lächelte.

    Sogar die blonde Gigantin versuchte, zu lächeln. „Ja. Sie leben.“

    Die erste gute Nachricht seit langem! Es gab einen Grund, weiterzumachen! Ich stand unvermittelt auf, ein neuer Schub Energie durchfuhr meinen geschundenen Körper.

    „Das sind fantastische Nachrichten!“

    Die Riesin sah mich allerdings nicht mit freudestrahlenden Augen an. Es war Mitleid.

    „Es tut mir Leid. Ihr könnt leider nichts tun. Und wir auch nicht. Wir haben keine Chance gegen Anina. Sie wird auch unsere Heimatinsel unterwerfen, wenn es so weitergeht...! Es ist vorbei.“

    Plötzlich regte sich Fiona. „Nun, nicht ganz!“, sagte sie.

    Sie griff in ihren Rucksack und zog die Phiole mit der geheimnisvollen blauen Flüssigkeit hervor.

    „Wir haben noch das hier!“

    Ava und Melina wussten offenbar, was Fiona da in der Hand hielt und erschraken sichtlich.

    Die blonde Riesin begann aufgeregt zu sprechen. „Wo-- Wo habt ihr das her?“

    Fiona grinste. „War auf eurem Landungsboot! Dort, wo wir unser Treffen mit Anina hatten.“

    Ava sah zu ihrer riesigen Freundin, dann blickte sie wieder auf uns hinab.

    „Und... und was habt ihr damit vor?“

    Plötzlich schaltete sich die sonst so stumme Melina ein. Entschlossen machte sie einen Schritt auf uns zu und starrte uns mit ernstem Blick an.

    THUD.

    „Ihr werdet dieses Zeug sofort vernichten, oder ich vernichte EUCH! Es hat schon mehr als genug Schaden angerichtet! Seht ihr das nicht?“

    Fiona und ich machten instinktiv einen Schritt zurück.

    „Los! Tut es endlich!“

    Ava stand ohne Vorwarnung auf und legte ihre Hand auf Melinas Schulter. „Beruhige dich. Bitte. Wut macht unsere Situation nicht besser.“

    Doch Melina war außer sich. „Verstehst du es nicht? Was ist los mit dir? Sieh uns doch nur an!“

    Ich drehte mich zu Fiona um. Sie beachtete mich nicht. Stattdessen erhob sie ihre Stimme und umklammerte dabei fest die Phiole.

    „Wie stellt ihr euch denn eure Zukunft vor? Soll das jetzt immer so weitergehen?“, schrie sie den Gigantinnen zu. „Wollt ihr wirklich den Rest eures Lebens als Sklaven von Anina verbringen?“

    Melina schien noch wütender zu werden. Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Das folgende Erdbeben sorgte beinahe dafür, dass Fiona und ich wieder auf den Boden zurückfielen.

    „Und was soll dieses verdammte Zeug jetzt bitte ändern? SAGT ES MIR! WAS HABT IHR VOR?“, schrie die braunhaarige Riesin.

  • Fiona nahm all ihren Mut zusammen und trat einen Schritt nach vorn. Bestimmt sah sie Melina in die Augen.

    „Muss ich es wirklich aussprechen?“

    Melina knirschte angestrengt mit den Zähnen. „Du willst allen Ernstes, dass wir noch größer werden? Das ist WAHNSINN! Was ist, wenn eine von uns genauso durchdreht wie Anina? Wir wären unaufhaltsam! Und wie sollen wir überleben? Es ist jetzt schon schwer genug, ausreichend Nahrung zu finden! Du bist VERRÜCKT! VERRÜCKT!!“

    Fiona blickte wortlos zu Boden, doch dann schaltete sich Ava ein.

    „Genug! Genug...! Ich kann nicht mehr...! Hört bitte auf damit!“

    Melina ließ das nicht auf sich sitzen. „Dann soll die Alte den Trank doch selbst nehmen! Ich habe genug durchgemacht! Ava! Du kannst nicht ernsthaft wollen, dass...“

    Die blonde Riesin schluckte. „Anina ist meine Schwester. Ich muss... es wenigstens versuchen.“

    Es war nicht zu übersehen, dass Melina nun die blinde Wut gepackt hatte. „Nein! Das lasse ich nicht zu! Ava! Wie stellst du dir das vor? Bist du jetzt völlig durchgeknallt?!“

    Die blonde Gigantin sah bedrückt zu Boden. „Vielleicht könnten wir so auch endlich nach Hause zurück, und...“

    „Und WAS?“, schrie Melina.

    „...und uns für das Rächen, was uns angetan wurde.“

    Melina kochte. „Nein. Nein! Das kann nicht dein ernst sein! Niemand weiß, was mit dir passieren wird!“

    „Melina. Es... gibt keine andere Lösung! Wir müssen Anina aufhalten! Das weißt du genau!“

    Die braunhaarige Riesin ballte ihre Hände zu Fäusten. „Verdammt nochmal...“

    Es schien, als würde sie sich langsam beruhigen. Ihre Hände entspannten sich, und sie blickte ausdruckslos zu Boden. „Verdammt nochmal, Ava. Willst du... willst du das wirklich tun?“

    „Ich... Ich denke schon. Nein... Ich muss.“

    Die braunhaarige Riesin sah ihrer Freundin tief in die Augen und seufzte lautstark. „Nun... Nun gut. Ich sehe schon, es ist zwecklos. Aber dann tun wir es zusammen. Ich lasse dich nicht allein.“

    Ein seltsames Gefühl breitete sich plötzlich in mir aus. Der Plan war gut, doch war er wirklich so klug? Denn tatsächlich konnte niemand wissen, was mit den beiden geschehen würde. Was, wenn sie wirklich durchdrehen würden? Wären sie noch größer, könnten sie vermutlich die gesamte Welt versklaven...! Ich dachte an meine Crew. An mein Schiff. Es war auch ihre letzte Chance. Wir mussten es einfach probieren. Eine Art Weltuntergangsstimmung machte sich in mir breit. Eigentlich war mir inzwischen sowieso alles egal. Es konnte nicht mehr viel schlimmer werden. Ich war bereits im Abgrund angekommen.

    Melina umarmte Ava schließlich herzlich.

    „So sei es. Tun wir es.“

  • „Ich bin mir nicht mehr so sicher“, sagte Fiona. „Da wir nun wissen was passiert ist, wäre das kaltblütiger Mord. Sie waren bis vor Kurzem noch normale Menschen. Vergiss das nicht, Captain.“

    Und wenn Anina ein "echte Riesin" wäre, so wäre es kein Mord? Das ergibt wenig Sinn.

    Wären sie noch größer, könnten sie vermutlich die gesamte Welt versklaven...!

    Also dafür müssten sie schon sehr groß werden. Und vermutlich bald dem Hunger erliegen nachdem sie ein paar Monate alles und jeden zusammengekratzt hätten. Es überrascht mich ehrlich dass Fiona nicht selbst wachsen will. Aber vielleicht kommt es noch im letzten Kapitel.

  • Und wenn Anina ein "echte Riesin" wäre, so wäre es kein Mord? Das ergibt wenig Sinn.

    Doch, wäre es. Allerdings würde ich das auf einer psychologischen Ebene anders einschätzen. Wenn sie eine "echte" Riesin gewesen wäre, hätte das Vergiften eher einen abstrakten Touch gehabt. Als würde man ein wildes Biest einschläfern lassen, zu dem man als Mensch nicht wirklich relaten kann. Kann man aber auch anders sehen, klar.

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